Die Säulen der Erde
Die Welt ist eine Scheibe. Nun ja, nicht die ganze Welt, doch ein paar Jahrhunderte Welt- und Menschheitsgeschichte hat die Eiche miterleben dürfen. Früher gedieh sie kernig am Wegesrand, zu Zeiten der Französischen Revolution und der Völkerschlacht war das schon so. Nun hat die Eiche im Arboretum* der Stadt Wolfsburg ein Ruhebett gefunden, zumindest ein Teil von ihr. Schweigend steht die Baumscheibe auf dem Boden und hat uns doch viel zu erzählen kraft der Jahresringe, die sich in ihr Holz eingegraben haben. Wie heißt es doch: Habt Achtung vor dem hohen Alter. „Im Vergleich zu dieser Eiche sind wir alle ein ziemlich kleines Licht“, sagt Stadtförster Dirk Schäfer, „sie vermittelt uns den Respekt, den jeder von uns dem Wald erweisen sollte.“
Nun im Frühling verdient der Wald besonders viel Wertschätzung. In diesen Tagen haben viele Bäume und Sträucher zu blühen begonnen, überall herrscht Aufbruchstimmung. Wer Kurs auf die Steintreppe an der Tommy-Quelle nimmt und sich von hier aus das Arboretum erschließt, dem offenbart sich ein toller Blick auf ein schönes Fleckchen Erde, das Schauplatz eines Märchens sein könnte. Das sprudelnde Quellwasser, das den Stemmelbach speist und an dem Wanderer ihren Durst stillen; das augenfällige Relief der Landschaft, das kleine Tiefen und Höhen ziert; und natürlich die vielen Bäume, deren grünes Blätterdach im Zusammenspiel mit der Sonne für ein wunderbares Licht- und Schattenspiel sorgt. Hier zeigt sich der Stadtwald von seiner besten Seite „mit einem der schönsten Landschaftsbilder in Wolfsburg“, meint Dirk Schäfer.
Drei Fußballfelder ist das Arboretum groß. Rund fünf Dutzend Baumarten sind hier zu Hause – darunter vertraute Klassiker wie die Rotbuche, Lärche und Kiefer, die Linde und Eibe. Auch eher unbekannte Exemplare wie der Küstenmammutbaum und die Libanonzeder sind zu entdecken. Handelt es sich um ein Laub- oder Nadelholz? Sind die Blätter wechsel- oder gegenständig? Das Arboretum ist ein hervorragender Ort, um nach langer Zeit mal wieder das Einmaleins der Baumbestimmung anzuwenden. Wenn die Kenntnisse unwiderruflich verschüttet sein sollten: Um den persönlichen Lieblingsbaum zu küren, reicht der Sachverstand allemal. Wer ist der Favorit des Försters? „Die Ulme, weil sie uns so tolles Holz beschert.“
Geschichte vom Leben und Sterben im Wald
An allen Ecken und Enden wächst, sprießt und wuchert es – einerseits. Das Arboretum erzählt auch die Geschichte vom Leben und Sterben im Wald. An der Totholzbrücke liegen kreuz und quer Äste, Stämme und ganze Bäume, die um- oder heruntergefallen und zum Zuhause unterschiedlicher Tier- und Pflanzenarten geworden sind. Ein Foto aus dem Jahr 2011 dient als Zeuge, wie sich das Gesicht des Gehölzes im Laufe der Zeit verändert hat. „An dieser Stelle lassen wir alles so liegen, wie es auch vor zehn Jahren schon war“, erklärt Dirk Schäfer das Prinzip, das den Kreislauf des Lebens veranschaulicht. Eigentlich hielten die Menschen den Tod ja weit von sich fern, an diesem Ort jedoch sei das anders, meint er. Wenn sich die Rinden zu färben beginnen und Efeu oder Moos die Stämme hochklettern, „dann wird das Sterben als schön empfunden und der tote Baum zum Fotomotiv“.
Schautafeln vermitteln Wissenswertes
Informativ und verständlich geschrieben sind die Texte auf den Schautafeln. Wer sich Zeit nimmt und kurz innehält, der kann eine Menge über den Wald lernen: über seine Schönheit, Vielfalt und Eigenarten und auch die Märchen, Mythen und Sagen, die sich um ihn ranken. Auf einer der Tafeln findet man die vier hohen Schornsteine des Kraftwerks von Volkswagen wieder. Sie bilden den Maßstab für den höchsten Baum der Welt, der in den USA stolze 115 Meter misst. Im Arboretum ragen die stattlichsten Bäume etwa 40 Meter in die Höhe. Wie diese Hünen es schaffen, Tag für Tag zig Liter von ihren Wurzeln über den Stamm bis zur Baumkrone zu bewegen, grenzt an ein kleines Wunder. Das Arboretum gibt uns einen faszinierenden Eindruck davon, wie diese Lebenskünstler funktionieren und welche wichtigen Aufgaben die Bäume für die Stadt Wolfsburg erfüllen.
Wer weiß, vielleicht weckt der Streifzug durchs Arboretum die Leidenschaft für den Wald ja sogar so sehr, dass der eine oder andere diese Hingabe zu seiner Profession machen möchte. Forstwirtschaft studieren? Warum denn nicht. Das Arboretum ist dafür eine ergiebige Wissensquelle. Wer die Weisheiten des Waldes komplett aufsaugt, „der hat sich“, meint Dirk Schäfer lachend, „auf die Prüfung zum Ende des Grundstudiums schon ganz gut vorbereitet“.
Und die Besucher können verinnerlichen, dass die Säulen der Erde wirklich unsere Bewunderung verdienen. Auch im Arboretum sind die ältesten Bäume zwischen 100 und 150 Jahre alt. „Wenn wir heute einen Baum pflanzen“, sagt Förster Schäfer, „dann treffen wir damit eine Entscheidung, die mehrere Jahrhunderte wirken kann.“
Stefan Boysen
*Was ist ein Arboretum?
Ein Arboretum (lat. arbor “Baum”) ist eine Sammlung verschiedener, lebender Bäume und Sträucher.
Kontakt
Zum Wiesengarten 2
38446 Wolfsburg
Telefon: 05363 72368
E‑Mail: dirk.schaefer@nfa-wolfenb.niedersachsen.de
Arboretum Wolfsburg
Das Arboretum liegt am Brunnen- und Quellenweg oberhalb eines schönen Bachtales. Es lädt zum Verweilen ein, zum Sinne schärfen und zum Lernen. Anschauliche Beispiele aus dem Leben der Bäume, Schautafeln und andere Bausteine vermitteln Wichtiges und Interessantes rund um das Thema Wald. Speziell bezogen auf den Wald unserer Heimat. Aber auch mit Ausflügen in die Welt des Waldes in aller Welt.
Dieser Punkt liegt im Naturschutzgebiet Natura 2000-Gebiet: Eichenwälder zwischen Braunschweig und Wolfsburg, EU-Vogelschutzgebiet. (Quelle: https://www.geolife.de/inhaltsverzeichnis/details/poi-2000265–8000-Arboretum_der_Stadt_Wolfsburg.html)
Dieser Artikel ist ein Teil des Top Themas “Natur pur” der 13ten Ausgabe des Bürgermagazins. Weitere Artikel aus diesem Top Thema findet ihr z. B. hier:
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