Blue Wings

Wie ein Autoun­fall alle 30 Sekunden mit Marathon und Mathe.“

Die Blue Wings sind das einzige Football-Team in Wolfsburg, und sie feiern dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Mit Leiden­schaft, großem Gemein­schafts­sinn und einem nachhal­tigen Konzept wollen die Spieler und Funktio­näre in der 3. Liga angreifen.

Massen­haft Kolli­sionen werden die Blue Wings mit dem Start ihrer Saison kurz nach Ostern verur­sa­chen – und das mit Absicht. Denn das gehört zu ihrem Sport, erklärt Jevgeni Romanov, Vorsit­zender der Blue Wings Wolfsburg: „American Football ist wie ein Autoun­fall mit 30 km/h alle 30 Sekunden. Dazu läuft man einen Marathon und löst Mathe­auf­gaben.“ Was Romanov damit meint: Beim Football prallen nach kurzen Abspra­chen regel­mäßig die Offen­siv­spieler des einen Teams auf die gegne­ri­schen Defen­siv­spieler. Und da das jedes Mal mit voller Energie geschieht, ist es anstren­gend wie ein Marathon. Zudem muss man wach im Kopf sein: Bei rund 90 Spiel­zügen pro Partie muss jeder Spieler wissen, was er zu tun hat. „Ein Schritt zu kurz, eine Sekunde zu spät oder zu früh – schon funktio­niert der angesagte Spielzug nicht“, sagt Romanov.

Mit den vielen Spiel­zügen sei Football wie Schach auf Rasen. Aber dennoch im Grunde leicht zu verstehen: Jedes Team hat vier Versuche, um zehn Meter zu überbrü­cken. Schafft man das nicht, wechselt das Ballrecht. Punkte erzielt eine Mannschaft, indem sie den Ball ins gegen­über­lie­gende Ende des Spiel­feldes trägt – ein sogenannter Touchdown. Oder indem der Ball zwischen zwei hohen Stangen hindurch geschossen wird, die ebenfalls am Spiel­feld­ende stehen. Für Zuschauer*innen mögen die ständigen Spiel­un­ter­bre­chungen zunächst ungewohnt sein, gibt der Offen­siv­spieler Helge Dosdall zu. Dafür gebe es aber viel Action, wenn der Ball erstmal gespielt wird: „Beim Football gibt jeder immer wieder für rund zehn Sekunden alles. Das führt regel­mäßig zu spekta­ku­lären Aktionen. Zum Beispiel wenn ein Passemp­fänger im Sprint abspringt und den Ball mit einer Hand in der Luft fängt.“

Verlet­zungen seien bei diesem körper­be­tonten Sport überra­schen­der­weise eher selten, sagt Teamkol­lege Henrik Bosse: „Vergan­gene Saison hatten wir in unserem Kader von rund 60 Spielern nur eine schwere Verlet­zung.“ Dieser Sport sehe zwar oft wild aus, in den vergan­genen Jahren wurden aber einige Regeln zum Schutz der Gesund­heit einge­führt. Zudem gehen nur Spieler aufs Feld, die körper­lich und mental dazu wirklich bereit sind, sagt Romanov. „Fünf bis sechs Mal Ausdauer‑, Kraft- und Teamtak­tik­trai­ning in der Woche ist normal.“ Das diene auch der Vermei­dung von Verlet­zungen. Und schließ­lich helfe rohe Gewalt allein nicht weiter, sagt Dosdall: „Spieler, die wissen, wie sie mit Blick auf ihren Körper­schwer­punkt und ihrer ganzen Körper­hal­tung sicher stehen und wie sie ihre Hände optimal beim Gegner positio­nieren, können körper­lich überle­gene Konkur­renten leicht übertrumpfen.“

Bosse schätzt die Verlet­zungs­ge­fahr ebenfalls nicht hoch ein, obwohl die Gegner ihn als Quarter­back bevorzugt zu Boden reißen wollen. Durch die moderne Helmtechnik merke man „nicht wirklich was von den Treffern“, sagt der 22-Jährige und betont die Bedeutung seiner Mitspieler, die ihn unter anderem vor solchen Angriffen schützen: „Jeder im Team ist wichtig.“ Dosdall pflichtet ihm bei: „Man muss sich aufein­ander verlassen können.“ Weil es ohne ein gutes Mitein­ander auf dem Platz nicht funktio­niert, gibt es wohl auch außerhalb des Spiel­feldes einen sehr guten Zusam­men­halt bei den Blue Wings, vermutet Dosdall. „Wir unter­nehmen in unserer Freizeit viel, das ist wie eine große Familie.“

Vielleicht liegt das aber ebenso an der Strategie der Blue Wings, ausschließ­lich auf Wolfs­burger zu setzen. Und bewusst keine auswär­tigen „Starspieler“ anzuwerben. Genau das war auch ein Grund für den Nieder­gang im Jahr 2002: Teure Spieler unter anderem aus den USA sorgten dafür, dass der Rückzug wichtiger Sponsoren besonders schwer wog. In der Folge konnte damals nicht in der 2. Liga gestartet werden. „Das wollen wir diesmal anders machen“, sagt Romanov. 2008 hatte es einen Neuaufbau in der untersten Liga gegeben mit dem Ziel, es nur mit Spielern aus Wolfsburg und dem eigenen Nachwuchs zu schaffen. Drei Jahre lang wurde kein Spiel gewonnen. Dann wurden die Blue Wings aber immer erfolg­rei­cher. 2018 gelang der Aufstieg in die 3. Liga. Nach dem Klassen­er­halt soll diese Saison ein oberer Tabel­len­platz heraus­springen. Und außerdem mehr Zuschauer*innen ins Jahn-Stadion gelockt werden. „Beim Football ist eine tolle Atmosphäre, das ist eine riesige Party“, wirbt Romanov für einen Besuch bei einem der sechs Heimspiele. „Das sollte jeder mal hautnah erleben.“

Tobias Kuske

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wolfsburgbluewings.de

Fotos: Michael Glietsch

Ausgabe 11, DEIN WOLFSBURG, 2020

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