Tagestreff Carpe diem

Carpe Diem

Zu Besuch im Tages­treff der Diakonie

Nutze den Tag: er kann der Beginn eines neuen Lebens sein.“ was nach einem platten Poesie­al­bum­spruch klingt, ist im Tages­treff „Carpe Diem“ konkrete Realität. Er ist die Anlauf­stelle für wohnungs­lose und hilfe­be­dürf­tige Menschen; ein Besuch kann in der Tat den Start in ein neues geregeltes Leben bedeuten. 

Ich bin Alkoho­liker, Schei­ße­bauer, Knast­bruder, Wolfs­burger. Im Sommer saß ich vor deiner Haustür und ging durch deine Straßen, schaute in die Fenster deiner Geschäfte, bewun­derte dein Auto und sehnte mich nach dem guten Leben, das ich bei dir vermutete. Ich erinnere mich an das fried­liche Gefühl im Wald. Wenn ich saufe, käme es wenigs­tens in meiner Fantasie wieder. Ich kenne keine Ängste mehr, das macht mir am meisten Angst.“

So schil­derte Francesco Schönberg (49) sein Leben für das Theater­pro­jekt „Wolfs­burger Winter­reise. Geschichte eines wohnungs­losen Mannes aus Wolfsburg“. Es beschreibt sein Leben vor Carpe Diem. Vor Carpe Diem war das große Nichts, war das Leben im Alkohol­nebel ertränkt. „Sagen Sie mal, Sie schlafen doch nachts in unserem Treppen­haus, oder? Kommen Sie doch mal auf einen Kaffee bei uns vorbei. Übrigens: bei uns können Sie auch duschen“, sprach ihn vor acht Jahren eine freund­liche Frau an. Zuerst leugnete Francesco, dass er im besagten Treppen­haus bereits wirklich seit einigen Nächten Zuflucht und Wärme suchte. Es war ihm peinlich. Doch irgend­etwas hatte ihn wohl magisch hierhin gezogen. Denn: Francesco übernach­tete nicht irgendwo, er hatte sich dafür den Hausflur zum Tages­treff Carpe Diem ausge­sucht. Intuition und Wunsch­denken mögen dabei eine Rolle gespielt haben.

© WMG, Foto: S. Dorbrietz

Carpe Diem verän­derte sein Leben

Einige Zeit nach dem Kaffee­an­gebot war Francescos Not groß genug. Er tauchte im Carpe Diem auf und ab, immer öfter. Jahre später hat sich sein Leben verändert, ist wieder stabiler geworden. Zualler­erst halfen die Mitar­beiter vom Carpe Diem ihm dabei, eine Unter­kunft zu finden, klärten seine Finanzen. Heute ist Francesco trocken, hat eine Wohnung, hat Arbeit im VW-Werk – und ist dennoch gern weiterhin Stammgast. „Das Carpe Diem war eine Art Rettungs­anker, es ist mein zweites Zuhause geworden. Die Leute vom Carpe Diem sind immer für mich da, waren es auch in den Zeiten, in denen ich rückfällig geworden bin“, erzählt Francesco Schönberg. Eine weitere wichtige Konstante hat wieder in sein Leben gefunden: Er hat die Malerei wieder­ent­deckt, die ihn bereits seit seiner Jugend begleitet.

Francesco Schön­bergs Bilder und einige Collagen von gemein­samen Ausflügen machen den Tages­treff bunt und freund­lich, geben ihm Charakter. Im Eingangs­be­reich, im Flur, im Speise­raum – überall sind seine Bilder platziert. Am auffäl­ligsten ist sicher­lich eine komplett bemalte Wand, in die der Name des Tages­treffs einge­ar­beitet ist: Carpe Diem. Auch einige weitere Besucher des Tages­treffs konnte Francesco zum Malen inspi­rieren. Zu den Angeboten im Rahmen der sogenannten „Sozialen Teilhabe“ gehört auch ein kleiner Kräuter­garten. Die Tomaten und Kräuter, die hier wachsen, werden in der Tages­treff-Küche verwendet. „Außerdem besuchen wir alle zwei bis drei Wochen die Autostadt, mit der wir eine Verein­ba­rung geschlossen haben“, berichtet Dagmar Alphei, die seit vielen Jahren als Sozial­ar­bei­terin beim Tages­treff beschäf­tigt ist. Einmal im Monat sind die Besucher des Tages­treffs auch in Bokel­berge in Müden an der Aller bei der Tierheil­prak­ti­kerin Corinna Michelsen zu Gast. Dort versorgen sie die Tiere, bauen beispiels­weise Vogelkästen.

Die Basis­ver­sor­gung ist am Wichtigsten

Neben diesen Highlights ist für die Besucher*innen, die das Carpe Diem täglich aufsuchen, vor allem die Basis­ver­sor­gung wichtig. Ca. 40 Mittags­essen werden täglich ausge­geben, erzählt Jasmin Hinze. „Unsere Wasch­ma­schine ist eigent­lich ständig in Betrieb. Auch die persön­li­chen Gespräche unter vier Augen und das regel­mä­ßige warme Mittag­essen, das wir in unserer Küche frisch zubereiten und für einen kleinen Obolus anbieten, werden gern in Anspruch genommen“, erzählt Dagmar Alphei. Einmal monatlich kommen auch Friseu­rinnen. Eine davon ist Doris Ernst. „Als der Tages­treff vor einigen Jahren einen Aufruf startete und Friseure suchte, fühlte ich mich sofort angespro­chen. Wenn die Haare ordent­lich frisiert sind, fühlt man sich gleich besser. So kann ich ganz einfach hilfe­be­dürf­tige Menschen unter­stützen“, schildert sie ihre Motivation.

© WMG, Foto: S. Dorbrietz

2022 feierte die Einrich­tung bereits seinen 30ten Geburtstag.

Über kreative Ideen und Angebote, die unsere Einrich­tung berei­chern, freuen wir uns sehr“, erzählt Jasmin Hinze, Sozial­päd­agogin und Leiterin des Carpe Diem. Dem Carpe Diem ist zu wünschen, dass sich künftig noch mehr Unter­nehmen und freiwil­lige Helfer*innen finden, damit Menschen wie Francesco eine Anlauf­stelle finden, um wieder zurück in ein geregeltes Leben finden.

S. Ristig-Bresser

Im Carpe Diem unter­stützen ehren­amt­liche Helfer*innen in der Küche, schneiden Haare, machen Hauswirt­schafts­tä­tig­keiten, stellen Gratis-Frühstück zusammen, übernehmen Kurier­leis­tungen, fotografieren, erledigen Fahrdienste oder helfen bei IT-Fragen. Wenn auch Du den Tagestreff ehren­amt­lich unter­stützen möchtest, wende dich gerne direkt an den folgenden Kontakt:

Tagestreff „Carpe Diem“
Poststr. 39
38440 Wolfsburg
Tel. 05361 – 291314

E‑Mail: tagestreff-carpediem@diakonie-dwb.de

Tele.: 05361 291314

Öffnungs­zeiten: Montag bis Freitag von 9:00 Uhr bis 13:00 Uhr

DEIN WOLFSBURG, Ausgabe 6
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