42Wolfsburg zieht in die Markthalle

Das Bild zeigt das Logo der 42Wolfsburg

Wolfs­burgs Digitales Zentrum bekommt eigene Hochschule

Die „Markt­halle – Raum für digitale Ideen“ wird endgültig zum Digital Hub Wolfs­burgs: Neben dem „CoWorking Space Schiller 40“ wird in den kommenden Monaten die Hochschule „42Wolfsburg“ in die Markt­halle einziehen. Und mit ihr viele innova­tive und digitale Köpfe.

Im Interview erklären Dennis Weilmann (Dezernent für Wirtschaft, Digitales und Kultur), Ralph Linde (Leiter Volks­wagen Group Academy und Präsident der 42Wolfsburg) und Dr. Ralf Brunken (Leiter AutoUni und Vizeprä­si­dent der 42Wolfsburg), was die Hochschule für die Entwick­lung Wolfs­burgs bedeutet und warum sie ohne Lehrer*innen und Lehrbü­cher auskommt. Und sie enthüllen die Geschichte, die sich hinter der Zahl 42 verbirgt.

Herr Linde, mit 42Wolfsburg bekommt die Stadt eine neue Hochschule nach dem Vorbild der École 42 in Paris. Was macht die franzö­si­sche Program­mier­schule so besonders?

Ralph Linde: An der École 42 ist vieles außer­ge­wöhn­lich. Man benötigt keine formellen Abschlüsse wie das Abitur, um aufge­nommen zu werden. Was man braucht, ist Talent, das man im Aufnah­me­ver­fahren beweisen muss. Außer­ge­wöhn­lich ist auch, dass die Studie­renden kein Diplom oder Abschluss­zeugnis von der Hochschule erhalten – und trotzdem bekommen sie mit 95-prozen­tiger Sicher­heit einen Top-Job in der Softwareentwicklung.

Welches pädago­gi­sche Konzept steckt hinter 42Wolfsburg?

Ralph Linde: Es wird weder Vorle­sungen noch Lehrer und Lehrbü­cher geben. Das Konzept beruht auf einem Gamifi­ca­tion-Ansatz. Wie bei einem Compu­ter­spiel können die Studie­renden 21 Level erreichen – wobei viele schon vor dem Erreichen des letzten Levels aussteigen, weil sie dann schon richtig gut sind und einen erstklas­sigen Arbeit­geber finden.

42Wolfsburg ist für uns ein doppelter Gewinn

Herr Weilmann, was bedeutet die neue Hochschule für Wolfsburg?

Dennis Weilmann: Für uns ist sie ein doppelter Gewinn. Zum einen berei­chert 42Wolfsburg unseren Hochschul­standort und zum anderen die Markt­halle. Vor zwei Jahren haben wir begonnen, die Markt­halle zum digitalen Zentrum zu entwi­ckeln. Nach anfäng­li­chen Sanie­rungs- und Renovie­rungs­ar­beiten ist im letzten Jahr unser CoWorking Space Schiller 40 dort einge­zogen, im März dieses Jahres folgte die Eröffnung. Die 42Wolfsburg passt perfekt in das Gesamt­kon­zept der Markt­halle, den Digital Hub unserer Stadt.

Welche Vorteile eröffnen sich durch die Hochschule?

Dennis Weilmann: Gemeinsam mit vielen jungen und kreativen Leuten werden spannende und innova­tive Projekte in die Stadt kommen. Für sie alle bieten sich gute Möglich­keiten zur Zusam­men­ar­beit mit den Einrich­tungen, die es bereits in der Markt­halle gibt: das Co-Working-Space Schiller 40, das Studio für Anwen­dungen in den Bereichen Virtual und Augmented Reality und das Broadcast-Studio. Und natürlich holen wir uns auch Fachkom­pe­tenz in die Stadt: Volks­wagen, die Stadt Wolfsburg und der Mittel­stand brauchen gute IT-Fachkräfte, die wir in der Program­mier­schule ausbilden können.

Volks­wagen entwi­ckelt sich auch zu einem Softwareunternehmen

Linde

Herr Linde, für den Bau und Betrieb der Hochschule spendet Volks­wagen im ersten Jahr 3,7 Millionen Euro, in den Jahren darauf zwei Millionen Euro. Was verspre­chen Sie sich von 42Wolfsburg?

Ralph Linde: Volks­wagen wandelt sich, und dabei entwi­ckeln wir uns auch zu einem Software-Unter­nehmen. Nicht nur in unseren Fahrzeugen steckt immer mehr Software, sondern auch in den Anlagen, die die Fahrzeuge produ­zieren. Wir brauchen die Kompetenz der Software­ent­wickler und natürlich hoffen wir, dass viele Studie­rende ihre Praktika bei Volks­wagen machen und nach dem Studium bei uns, der Stadt oder der regio­nalen Zulie­fer­indus­trie arbeiten möchten.

Getragen wird die Hochschule von dem Verein 42Wolfsburg e. V., der privat und gemein­nützig ist. Was bedeutet das für die Ausrich­tung der Schule?

Ralph Linde: Die Program­mier­schule ist gebüh­ren­frei und unabhängig. Die Spende von Volks­wagen ist an keinen Gegenwert gebunden und niemand ist verpflichtet, nach seinem Studium bei Volks­wagen zu arbeiten. Wenn wir die Besten haben wollen, dann müssen wir darum kämpfen, dass die Studie­renden in unserer Region bleiben und hier leben und arbeiten wollen.

Dennis Weilmann: Ob seitens der Industrie- und Handels­kammer Lüneburg-Wolfsburg oder der Digitalen Gesell­schaft Wolfsburg: Von überall gibt es positive Resonanz. Viele Unter­nehmen wollen an der 42Wolfsburg mitwirken, Praktika an die Studie­renden vergeben und Teil des Ganzen sein. So ist ja auch unsere Initia­tive #Wolfs­burg­Di­gital ausgelegt: Die mittel­stän­di­sche Wirtschaft kann sich an ihr betei­ligen und unser Ziel unter­stützen, Wolfsburg zur digitalen Modell­stadt weiterzuentwickeln.

Wo genau ist die Idee geboren, eine Hochschule nach Machart der École 42 in Wolfsburg zu verwirklichen?

Ralph Linde: Vor einiger Zeit ist mein Chef Gunnar Kilian mit der Frage auf mich zugekommen: „Wie können wir den Bereich Software­ent­wick­lung bei Volks­wagen stärken?“ Das war die Initi­al­zün­dung der Fakultät 73 an der AutoUni. Inspi­riert von der École 42 haben wir vor zwei Jahren hundert Plätze für Mitar­beiter von Volks­wagen und externe Bewerber geschaffen, um sie zu IT-Experten weiter­zu­bilden. Die erste Ausbil­dungs­ge­nera­tion ist gerade fertig geworden und zeigt, dass auch die Fakultät 73 ein unglaub­lich erfolg­rei­ches Modell ist.

Wie ging es weiter?

Ralph Linde: Die École 42 hatte verlaut­baren lassen, dass sie nach Deutsch­land expan­dieren will. Danach haben wir ein Jahr gebraucht, um deren Macher zu überzeugen, dass Wolfsburg viel Potenzial hat und ein idealer Ort für sie ist – obwohl die 42 eigent­lich nur in Metro­polen wie Amsterdam, Brüssel und Jakarta zu Hause ist.

Die Markt­halle hat Charakter

Wie haben sich die Entscheidungsträger*innen der École 42 ein Bild von den Möglich­keiten in Wolfsburg gemacht?

Ralph Linde: Als deren Archi­tekten uns besuchten, haben wir ihnen stolz die Standorte gezeigt, die wir uns für die Hochschule hätten vorstellen können. Doch sie haben nur gesagt: „Wie langweilig“ (lacht). Ich weiß noch genau, wie wir da alle abends standen und es regnete – und wie die Franzosen uns fragten, ob wir nicht etwas anderes für sie hätten. Gemeinsam sind wir dann zur Markt­halle gefahren, und schon beim Ausstieg aus dem Auto meinten sie: „Das hat Charakter, hier müssen wir rein!“ Ihnen ist wichtig, dass die 42Wolfsburg da ist, wo etwas los ist: mitten in der Stadt.

Dennis Weilmann: Durch die enge Zusam­men­ar­beit zwischen Volks­wagen und der Stadt bei der Initia­tive #Wolfs­burg­Di­gital haben wir ein Netzwerk, welches sehr gut funktio­niert. Und so ging alles recht schnell. Nachdem wir gemeinsam nach Paris gereist waren und uns die Hochschule angeschaut hatten, war für mich endgültig klar, dass diese Hochschule unbedingt nach Wolfsburg muss. Für diese Stadt ist es großartig, einer der Standorte sein zu dürfen, in der so ein innova­tives Format wie die École ansässig ist. Für die Entwick­lung des Nordkopf-Areals ist die Markt­halle mit der 42Wolfsburg ein fantas­ti­scher erster Baustein.

Ralph Linde: Und wenn Sie sich jetzt fragen, was es mit den Zahlen 42 und 73 auf sich hat, dann erkläre ich Ihnen das…

…ja, gerne!

Ralph Linde: „Per Anhalter durch die Galaxis“ ist ein Science-Fiction-Klassiker von Douglas Adams. Darin wird ein Super­com­puter gefragt, was denn die Antwort auf alle Fragen dieser Welt und so der Sinn des Lebens sei. Nachdem der Computer viele Jahre gerechnet hat, antwortet er schließ­lich: „42“. Seitdem ist diese Zahl für Compu­ter­fans eine Riesen­nummer. Die 42 hätte auch gut zur Fakultät von Volks­wagen gepasst, aber weil sie an die École vergeben war, wählten wir die 73. Nach Aussage von Sheldon Cooper aus „The Big Bang Theory“ – eine Fernseh­serie, die ich sehr mag – ist sie der Chuck Norris unter den Zahlen.

Im Mai wollen wir den Betrieb der Hochschule starten!”

Wie lautet der Fahrplan bis zur Eröffnung der 42Wolfsburg?

Ralf Brunken: Im Januar werden wir das System hochfahren, damit wir im Februar das erste von insgesamt drei vierwö­chigen Auswahl­ver­fahren machen können. Darin werden Lernfä­hig­keit, Sozial­ver­halten und natürlich Lust auf IT und Mathe­matik wichtige Rollen spielen. Im Mai wollen wir den Betrieb der Hochschule starten. Dann wird sie für 600 Studie­rende geöffnet sein. Ihre Ausbil­dung ist nicht indus­trie­spe­zi­fisch, aber wenn die Studie­renden möchten, können sie durch die Praktika einen starken Automo­tive-Bezug wählen. Als Automo­bil­standort hat Wolfsburg ein Allein­stel­lungs­merkmal unter den weltweiten Écoles. Schon jetzt gibt es Anfragen aus dem Silicon Valley, ob sich die 42Wolfsburg einen Austausch zwischen Studie­renden vorstellen kann.

Wie wird das Innen­leben der 42Wolfsburg aussehen?

Ralf Brunken: Die Studie­renden können selbst entscheiden, wann sie lernen möchten. Insgesamt wird es 250 Arbeits­plätze geben, an denen sie in Ruhe lernen können. Dazu gibt es Räume, in denen die Studie­renden über ihre Projekte disku­tieren oder sich eine Pause gönnen und chillen können. Hier und da wird man auch ein paar Handtü­cher und Duschen sehen. Die Hochschule wird 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche geöffnet sein.

Ralph Linde: Jeder Studie­rende wird Teil eines sogenannten Chapters sein, zwischen denen es Program­mier-Wettbe­werbe gibt. Das ist eine sehr lustvolle, aber auch sehr arbeit­same und teamför­dernde Form zu lernen. So öffnet die 42Wolfsburg die Tür zur neuen Arbeits­welt: auf der einen Seite hohe Leistungs­be­reit­schaft, hohe Konzen­tra­tion, hoher Output – und auf der anderen Seite kann sich jeder auch einfach mal entspannen und das machen, worauf er gerade Lust hat. Zusammen mit den 200 der Fakultät 73 holen wir 800 junge Leute in die Stadt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie Wolfsburg in Kultur und Gastro­nomie neue Impulse geben.

Max Senges wird die Hochschule leiten. Warum haben Sie ihn gewählt?

Ralph Linde: Max Senges hat in den USA im Silicon Valley gearbeitet und an der Stanford Univer­sity gelehrt. Heute ist er Führungs­kraft im Headquarter von Google in Berlin und hat eine intensive Beziehung zur Start-up-Szene. Max Senges ist ideal für diese Position und sprüht vor Ideen. Mit diesen will die 42Wolfsburg kein Konkur­rent für die Fachhoch­schulen und die Techni­sche Univer­sität sein. Sie sucht die Zusam­men­ar­beit und ist ein neuer bunter Tupfer in der Hochschulwelt.

Stefan Boysen

Von links: Dr. Ralf Brunken (Leiter AutoUni und Vizeprä­si­dent der 42Wolfsburg), Ralph Linde (Leiter Volks­wagen Group Academy und Präsident der 42Wolfsburg) und Dennis Weilmann (Dezernent für Wirtschaft, Digitales und Kultur) © WMG

(Ausgabe 12, Winter 2020)

Weitere Infor­ma­tionen zum Studium, wie du beitreten kannst und über das boot camp, bekommst du unter: www.42wolfsburg.de

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