Ein Ort der Entschleunigung in der Natur
„Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“, heißt es in einem Kinderlied des Schulmeisters Ernst Anschütz aus dem Jahr 1824. Schon viel länger gibt es die Brackstedter Mühle zwischen Wolfsburg und Jembke – die erste urkundliche Erwähnung der Wassermühle stammt von 1434. Seitdem sind knapp 600 Jahre ins Land und über die Kleine Aller gezogen. Aber klappern können die Mühlenräder schon lange nicht mehr, erzählt mir die Inhaberin des „Hotels & Restaurants Brackstedter Mühle“ Christiane Schuster.
Aber der Reihe nach. Also: erste urkundliche Erwähnung 1434, hier taucht die Mühle in einem Einnahmeverzeichnis der Herren von Bartensleben auf. Weitere Nennungen von Müllern stammen erst wieder aus den Jahren 1670 und 1748. Letztere Erwähnung ist interessant, denn sie zeigt, dass sich gute Ideen nicht immer durchsetzen. Im Falle des Müllers Henning Gaden verwarnte das Amt Vorsfelde nämlich den cleveren Müller, weil er das Getreide bei seinen Kunden abholte. Ein klarer Fall von Wettbewerbsverzerrung. Deshalb wurde die Mühle zwei Jahre später sogar konfisziert. Noch bis 1936 lief der reguläre Mahlbetrieb, bis 1964 das Schroten von Getreide. Parallel dazu betrieben Gastronomen seit 1911 aber schon eine Gastwirtschaft.
Ein kleiner Zeitsprung: Ich sitze mehr als 110 Jahre später mit der Inhaberin des Hotels und des Restaurants Christiane Schuster an einem herrlichen Tag mit einem Cappuccino auf der schattigen Brückenterrasse. Links der Blick auf das nicht mehr intakte, aber allemal sehenswerte Mühlrad, vor mir die überdachte Terrasse des rustikal-idyllischen Restaurants und rechts öffnet sich der Blick über den vor Jahren renaturierten Bachlauf hin auf weite saftige Wiesen, auf denen sich Schafe gütlich tun. Heidschnucken, erzählt mir die Inhaberin der Brackstedter Mühle, die das Anwesen selbst seit 1997 betreibt, ihre Familie allerdings schon seit 1936.
Ihr Mann Elmar Schuster ist wie auch Sohn Arved Hotelkaufmann und sie, die Chefin, hat Betriebswirtschaft studiert. Sie ist schon viel herumgekommen, bezeichnet sich selbst schmunzelnd als „Althippi“ und versprüht eine fröhliche und weltoffene Stimmung. Sie ist voller Energie, wenn sie von ihren Plänen erzählt: „Ich möchte einen Ort haben, wo Leichtigkeit und Entschleunigung herrschen.“
Dazu möchte sie die wertvollen Dinge der Natur nutzen, um sie ihren Gästen nahezubringen, erzählt sie mir begeistert. Das Fleisch der Heidschnucken werde als Spezialität gehandelt. Zudem nutzten sie und ihre Köche altes Wissen für weiteren Genuss auf dem Teller: Löwenzahn, Sauerampfer und Brennnessel im Salat, Johannisbeeren und Walnüsse fürs Dessert – vieles vom eigenen Grundstück. Während der Coronazeit hätten die Angestellten, die sie liebevoll „Mühlengeister“ nennt, Hochbeete für Kräuter und eine Wildblumenwiese angelegt. Gern möchte sie auch Laufenten und Hühner anschaffen. Der große Kinderspielplatz und die weitläufigen Wiesen deuten schon an, dass hier kein Platz für Schicki-Micki-Publikum ist.
Das nehme ich ihr vollends ab – spätestens mit Blick auf das goldene Gummibärchen an ihrer Halskette. Die Geschichte zu dem ungewöhnlichen Kettenanhänger liefert mir Frau Schuster gleich dazu: „Als wir erstmals unseren Sohn gemeinsam auf dem Ultraschallbild sahen, sagte der Arzt, dass unser Kind ist jetzt so groß wie ein Gummibärchen … daraufhin bekam ich die Kette von meinem Mann zur Geburt unseres Sohnes und trage sie seit 27 Jahren immer.“
Die engagierte und gut gelaunte Inhaberin hat vor gut 15 Jahren eine Idee umgesetzt, die nun schon Tradition geworden ist. Seit 2008 findet nämlich der „Brackstedter Mühlenmarkt“ auf dem gesamten Gelände statt. Am letzten Samstag im April bieten hier alljährlich Kunsthandwerker und regionaler Erzeuger ihre Produkte an. Zur Unterhaltung spielt dann traditionell die Big Band Tappenbeck auf. Auch für Kultur auf der Bühne ist sporadisch gesorgt: Open-Air-Konzerte, Lesungen oder Kabarett finden in lockerer Folge in der Brackstedter Mühle statt.
Am Ende des Besuches will ich noch wissen, seit wann das fotogene Mühlrad nicht mehr funktioniert und ob er jemals seinen Dienst wieder wird verrichten können. Ich erfahre, dass das Wehr und die Spundwand der Mühle 1982 im Zuge der Renaturierung der Kleinen Aller restauriert und ein neuer Generator eingebaut wurde. Im Jahre 2003 erhielt das Mühlrad noch einmal eine Teilrenovierung, ist aber seitdem nicht mehr gängig. Das Innenleben der Mühle ist in einem Gastraum als Schauobjekt zu begutachten. Warum aber funktioniert die Mühle nicht mehr?, frage ich Christine Schuster.
„Leider sind bei der letzten Maßnahme ein paar Fehler passiert und das Mühlrad schleifte danach an der Außenwand. Um Risse am Haus zu vermeiden, mussten wir es dann leider stilllegen.“
Ihr Wunsch ist nach wie vor, dass sich das Mühlrad eines Tages wieder dreht, aber leider ist es schwer, jemanden zu finden, der sich auf dieses alte Handwerk versteht. Dann würde die Mühle abermals am rauschenden Bach klappern.
B. Mäkeler
08/2024