Mitte des 18. Jahrhunderts war das Zuckerrohr die einzige Quelle für die Zuckergewinnung. Dies änderte sich mit dem deutschen Chemiker Andreas Sigismund Marggraf, der am 17. November 1747 in einem Vortrag in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften publik machte, dass neben dem Zuckerrohr auch Rüben zuckerhaltig sind. Damit war der Grundstein für die deutsche Zuckerrübenindustrie gelegt.
Im Jahr 1802 errichtete sein Nachfolger Franz Achard die weltweit erste Zuckerrübenfabrik. Konkurrenzfähig gegenüber dem importierten Rohrzucker war die Zuckerrübe aber noch lange nicht, weshalb alle weiteren errichteten Fabriken zunächst schließen mussten – Achards Fabrik selbst brannte 1807 ab.
In den 1830ern konnte die Rübe schließlich durch Verbesserung des Zuckergehalts industriell zur Zuckergewinnung genutzt und verarbeitet werden. So entstanden zahlreiche Fabriken, die von den technischen Fortschritten der Industrialisierung profitierten. Kunstdünger, effiziente Maschinen, günstige Verkehrsanbindungen und leichtere Böden machten Deutschland zeitweise zum weltweit bedeutendsten Produzenten von Rübenzucker.
Da gerade in Norddeutschland die Zuckerrübe angebaut und verarbeitet wurde, diskutierten die Fallerslebener über Jahrzehnte, ob sie auch eine Fabrik eröffnen sollten. Über konkrete Vorstellungen berieten sich am 23. Februar 1878 Ökonomierat Carl Lehste und Landschaftsrat Hermann von der Wense. Es waren aber auch regionale Bauern, Grundbesitzer und Pächter anwesend. Bis es schließlich zur Gründung der „Aktienzuckerfabrik Fallersleben“ am 20. März 1879 kam, mussten diese erst zum Kauf von Aktien motiviert werden.
Mit 300.000 Mark Grundkapital erfolgte am 01. Mai 1879 die Grundsteinlegung, und schon im Dezember desselben Jahres sollte die erste Zuckerrüben-Kampagne begonnen werden. Mit der Zuckerfabrik als einem der bedeutendsten Unternehmen im Raum Fallersleben konnte nun auch die ganze Region von der industriellen Entwicklung profitieren, beispielsweise durch Elektrifizierung, Modernisierungen und mehrere Fusionen. So wurde im Laufe der Zeit aus der „Aktienzuckerfabrik Fallersleben“ die „Zuckerfabrik Fallersleben-Salzdahlum AG“ und letztendlich die „Fallersleben-Meiner Zucker AG“. Seit der Umstellung auf Weißzucker im Jahr 1965 war sie an ihren markanten Silos zu erkennen, die heute jedoch abgerissen sind.
Die Zuckerfabrik war von 1879 bis 1995 in Betrieb und trug somit erheblich zur wirtschaftlichen Bedeutung der Region bei. Dieser Umstand fand anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens viel Anerkennung. Nachdem sich die Produktion im Jahr 1989 ausschließlich auf Fallersleben verlagert hatte, wurden im gleichen Zuge Erweiterungen und Investitionen geplant. Zusätzlich integrierte sich das Unternehmen als eine der leistungsstärksten Zuckerfabriken im norddeutschen Raum am 01. April 1990 in den Zuckerverbund Nord AG (ZVN).
Umso mehr verwunderte es die Einwohnerschaft Wolfsburgs, als am 11. März 1993 in der Zeitung zu lesen war, dass Fallerslebens Wahrzeichen der Industrialisierung ab 1995 schließen sollte. Als Grund dafür sei die Zuckerfabrik Klein Wanzleben anzusehen, eine der größten und modernsten Zuckerfabriken Europas, gegen die die Fallersleber Fabrik nicht mehr konkurrenzfähig war.
Nach der letzten Rüben-Kampagne, die im Dezember 1994 endete, mussten sich letztlich 200 Mitarbeiter und 1.800 Zulieferer einen neuen Arbeitsplatz suchen. Darüber hinaus konnte lange nicht geklärt werden, was mit dem Gelände der Zuckerfabrik selbst geschehen solle. Ein neuer Industriestandort sei inmitten eines Wohngebietes unmöglich.
Heute ist das Gelände im Besitz der Neuland Wohnungsgesellschaft mbH, die dort ein Wohn- und Gewerbegebiet errichtet und dieses nach Andreas Sigismund Marggraf benannt hat. Die Zuckerrübenanbauer haben 1995 schließlich eine Dienstleistungsgesellschaft gegründet und liefern Zuckerrüben seitdem in Lastwagen an entfernt gelegene Zuckerfabriken. Insgesamt sind im Norden nur fünf Zuckerrübenfabriken verblieben; von der Fallersleber Fabrik selbst existiert nur noch eine alte Lok.
Luisa Teresa Gedenk
Mein Name ist Jürgen Heyder, ich habe zehn Jahre von 1985 bis zum Schluss in der Fabrik gearbeitet.