Graffiti – Die Kunst des Alltags – Rundgang mit Bastee Roese
Graffiti: Schmiererei oder Kunst? Keins von beidem, sagt Bastee Roese: Für die – oft illegalen – Sprayer geht es darum, den eigenen Namen so einzigartig wie möglich in der Szene zu verbreiten. Der 35-jährige Auftrags-Sprüher nahm „Dein Wolfsburg“ mit auf eine besondere Graffiti-Stadtführung.
Um sich voneinander abzuheben, befassen sich Sprayer mit Formen, Schrifttypen, Subkultur. Dabei kommen oft selbst für Uneingeweihte recht kunstvolle Arbeiten heraus. Für Schmierereien hat auch Bastee nichts übrig, aber: „Irgendwann ist das vielleicht jemand mit Rang und Namen.“ Berühmte Sprayer hat Wolfsburg einige hervorgebracht, wie „Beet“, der aus Buchstaben Figuren macht, und „Herr von Grau“, der auch im Hip Hop reüssierte.

Zu sprühen begann Bastee 1992 an der Dieselstraßen-Wand, die heute von einer dicken Lackschicht überzogen ist. Eigentlich ist das Übersprühen in der Szene verpönt; nur, wenn verfeindete Crews sich die Reviere streitig machen, komme es dazu. Und manchmal auch zu Gewalt: Bastee berichtet von eskalierten Partys, mit Schlägereien, Schießereien und umgekippten Autos. Von Subkultur-Romantik keine Spur: „Heute ist es nicht mehr so extrem.“
Vieles hat sich laut Bastee verändert. Er stellt fest, dass die heutige Szene ihre Einflüsse eher aus sich selbst holt als aus den Ursprüngen in New York, sieht darin aber auch die Chance für Neues. Die Verbindung von Fußball und Graffiti versteht er nicht: „In der Szene kann man damit nicht landen.“ Waren Schablonen früher als uncool verpönt, sind sie heute in der Street Art der Stand der Dinge. Schade findet Bastee, dass in Wolfsburg viele illegale Arbeiten beseitigt wurden, nur wenige sind erhalten. Beispiele dafür und für bemerkenswerte Auftragsarbeiten zeigt uns Bastee bei einem Rundgang durch Wolfsburg. Viel Spaß beim Entdecken!
Graffitikunst in Wolfsburg – Stationen des Stadtrundgangs
Dieselstraße 36/Amselweg, Jobwerk

Die Wand ist der Graffiti-Klassiker in Wolfsburg. Seit Anfang der Neunziger in Benutzung, haben Generationen von Sprayern Schicht auf Schicht auf dem knapp 100 Meter langen Mauerwerk hinterlassen. Man erkennt dies an der unebenen Struktur: An manchen Stellen ist die Wand um mehrere Millimeter dicker – durch die viele Lackfarbe, die zum Teil auch schon abgefallen ist. An der Straßenecke, am Zaunsockel, findet sich zudem eine besondere Graffiti-Abart: Reste einer Fliese nach Art des französischen Künstlers Invader sind in Knöchelhöhe zu sehen.
Dieselstraße 18, Streetlife

Auf dem Hinterhof von Streetlife betreibt Bastee seine „private Hall Of Fame“, die er gelegentlich selbst übersprüht. Zurzeit zeigt es einen Schriftzug mit seinem SprüherNamen „RISE“ und einen Bären in Angriffspose. Mit der Farbkombination des Pieces bezieht er sich auf die Ursprünge des Graffiti in New York: Die Outlines sind ohne Kontrast zur Füllung, die Farben sind in Pastelltönen gehalten, und er verarbeitete viele Pfeile, die dynamisch in verschiedene Richtungen zeigen.
An der Vorburg/unter der Berliner Brücke

An diesem Brückenpfeiler findet man eine Weiterentwicklung des Graffiti: Street Art, mit einer Schablone auf die Wand gesprüht. Der Pfeiler wurde vorher überstrichen, die beiden lebensgroßen Männerfiguren illegal mit schwarzer Farbe aufgebracht. „Wenn man mit Schablonen arbeitet, muss man vieles mitbedenken“, erläutert Bastee. Für größere freie Stellen seien Stege im Papier zu berücksichtigen, damit Teile nicht auseinanderreißen. Als Tag ist nach Vorbild des berühmten Phantom-Künstlers Banksy der Schriftzug „LACUNA“ angebracht. Die weiteren Tags um die Arbeit herum gehören nach Bastees Auffassung nicht zum Werk.
Reislingen, Zollstraße/Hauptstraße (Werraring 21)

Das Mural ist das Ergebnis eines Workshops des Auszubildenden-Kunstprojektes „Werk Stadt Schloss“, das Bastee und das Berliner Duo „Various And Gould“ vor zwei Jahren an der privaten Mauer anfertigten. Das Thema lautete „Netzwerk“. Der Übergang zwischen den verschiedenen Stilen von Bastee und „Various And Gould“ ist deutlich zu sehen: Die Seite des Wolfsburgers und seiner Teilnehmer ist rein gesprüht, die der Berliner und ihrer Helfer in einem Stilmix gehalten, inklusive Schablonen und Pinsel.
Heßlinger Straße 14, Studentenwerk Braunschweig/Wohnheim
Großflächig und sehr auffällig gestaltete der Braunschweiger Künstler Sebastian Meyer alias „Ente-Graphics“ Murals mit Landschaften, einer Ansicht des Wolfsburger Schlosses, diversen riesigen Polaroids und dem alten Stadtwappen. Damit sollen illegale Graffiti verhindert werden – und es sieht beeindruckend aus.
Tischlerstraße 3, Hof

Hergés Comic-Helden Tim und Struppi laufen auf ihre Mondrakete zu, an der rechtwinklig dazu gelegenen Wand erkennt man die Wörter „DOGZ MAFIA“ und „Chrom & Chrime“ sowie den Satz „We Don’t Call The Cops“. „Das ist eine Auftragsarbeit von RHOK“, vermutet Bastee. Zu sehen ist die Comic-Seite leider nicht mehr vollständig: Ein Teil der Mauer wich einem Neubau.
Heinrich-Nordhoff-Straße 107/VW-Parkplatz

Zwischen Werbeplakaten sind auf der Lärmschutzwand der Bahnlinie die illegal aufgebrachten Buchstaben „KO“ zu entziffern. „Das ist ein altes Piece aus meiner Zeit, Mitte der Neunziger“, so Bastee. „KO“ nannte sich auch mal „KOMA“, heute sei er nicht mehr aktiv. Für Bastee ist das ein Relikt: „Es gibt nicht mehr viele Bilder, die von damals übrig sind.“
Danziger Straße 17, Wohltbergschule

Für einen Schulcontainer fertigte Bastee eine Unterwasserwelt an. Sie ist auf den Stirnseiten der Container die Ecken umfließend angebracht. „Dafür habe ich Fotocollagen in Photoshop zusammengebaut, als Vorlage“, so Bastee. Die Vorlage klebte er an eine Wand und sprühte sie auf die Unterlage ab. „Das mache ich aber nur bei Auftragsarbeiten“, erläutert er. Denn der Auftraggeber wolle schließlich etwas sehen, bevor er den Startschuss gibt.
Laagbergstraße 51, Kita „Sternenglanz“

Die Gebäudefront der Kita „Sternenglanz“ mit der Fee und den Pilzen stammt von dem Wolfsburger „OMY“, der sich früher „ANUB“ nannte und schon seit Anfang der Neunziger dabei ist. Auch eine Kabine im VW-Werk, die jetzt aussieht wie ein Zug, geht auf dessen Konto, so Bastee. „OMY“ mache auch Ausstellungen.
Suhler Straße 10, Lebenshilfe

Bastees wohl aufwändigste Arbeit ziert eine Wand am Gebäude der Lebenshilfe. In tausenden Quadraten sprühte er mit Schablonen eine mosaikartige Weltkarte auf die Wand, die einem Original aus Holz im inneren der Lebenshilfe nachempfunden ist. Ein künstlicher 3D-Effekt lässt einzelne Blöcke optisch hervorstehen. Nicht nur die drei Monate Arbeit hinterließen Eindrücke bei ihm. Lebenshilfe-Klienten und Bewohner der Flüchtlingsunterkunft gegenüber sprachen ihn bei seiner Arbeit regelmäßig an – und setzten damit das Motiv um: „Die Weltkarte als Verbindung verschiedener Kulturen.“
John-F.-Kennedy-Allee 67, Jugendzentrum Burg
Hinter all den neu gestalteten Wohnhäusern duckt sich das Jugendzentrum Burg an den Waldrand. Die Vorderseite mit den einfarbigen Silhouetten von Jugendlichen war eine externe Auftragsarbeit von Andreas Werner aus Berlin, auf der Rückseite tobten sich Nachwuchssprüher aus: Als Ergebnis eines Projektes mit Flüchtlingen fertigte Bastee eine Wand mit Wörtern aus allen möglichen Sprachen an, die die Workshop-Teilnehmer zum Thema „Heimat“ beisteuerten. Das war eine Herausforderung: „Viele konnten kein Deutsch“, so Bastee. Und viele der Kinder hatten zum ersten Mal eine Sprühdose in der Hand: „Das war schwer zu vermitteln – auch inhaltlich.“
MB
Graffiti-Glossar
Piece: Graffiti-Arbeit
Burner Piece: aufwändiges Konzeptbild mit mehreren Farben und einem ausgestalteten Hintergrund, keine Auftragsarbeit
Simple Style: Buchstaben ohne Hintergrund
Wild Style: ausgearbeitetes Schrift-Piece
Mural: konzipierte Wand, Kulisse mit Charactern
Character: Figur
Tag: kleine Unterschrift, Signatur
Hall Of Fame: Wand, auf der Profi-Sprayer sich verewigen
Writer: Graffiti-Sprüher
Outlines: Umrandung eines Pieces
Freestyle: ohne Vorlage oder Skizze sprühen
Yard: Gelände, auf dem Züge und Waggons stehen, die besprüht werden
Bomben: ein Areal mit Graffiti zupflastern
Rooftop: Graffito an einer Dachkante
Crossen: Gangs oder Crews bringen ihre Tags in fremden Revieren an
Stencil: mit Schablonen gesprühtes Graffito
Throw Up: Buchstabe, dessen Ecken spitz zulaufen