Hehlinger Roland im Winter

Der Kampf um den Roland und ein Planet Hollywood für Hehlingen

Ich bin ein Nineties-Kid. Ich wuchs in dem Bewusst­sein auf, dass alles möglich ist: als allein­ver­die­nender Schuh­ver­käufer ein 200-Quadrat­meter-Haus und eine vierköp­fige Familie finan­zieren („Eine schreck­lich nette Familie“); aus Schoko­lade, Lötzinn und Sprudel­wasser eine Bombe bauen („MacGyver“); und dass man munter Selbst­justiz üben darf, wenn man Peter Carsten heißt und etwas mit der Tochter vom Kommissar laufen hat („TKKG“).

Ich bin aber auch in einer Zeit großge­worden, in der Heliko­pter-Eltern noch nicht erfunden waren; und in der SUVs noch Jeeps hießen und ausschließ­lich von Jägern gefahren wurden. Zur Schule musste sich meine Genera­tion somit allein durch­schlagen: im Sommer mit dem Fahrrad und im Winter in Saunas auf sechs Rädern – den Gelenk­bussen der Wolfs­burger Verkehrs­ge­sell­schaft, kurz WVG. „Meine“ Linie 5 etwa sammelte so ziemlich alles ein, was an Schülern auf dem Weg in die City zu holen war: Die Vorsfelder bekamen noch Sitzplätze, in Reislingen begann der Kampf um die Halte­stangen, ab Südwest wurde es unschön.

Die WVG von damals stand ihrem Haupt­stadt-Pendant BVG von heute diametral entgegen. Während die einen mit „Weil wir dich lieben“ werben, galt bei der WVG der 90er Jahre: „Sei froh, dass du in diesem Jahr noch die Schüler­fahr­karte bekommst. Also halt‘ die Klappe und setz‘ dich hin … ach, nee, da sitzen ja schon die Vorsfelder.“

Dabei weiß jeder: Erst wenn der örtliche Verkehrs­be­trieb nicht bloß Menschen, sondern auch deepe PR-Botschaften trans­por­tiert, dann ist man in einer echten Stadt. Oder wenn es dort Restau­rant-Merchan­dise mit Lokal­ko­lorit gibt. Würden Sie ein „Hardrock Café Oer-Erkenschwick“-T-Shirt tragen? Quod erat demonstrandum …

Vom ausge­henden Mittel­alter an erkannte man – vor allem in Norddeutsch­land – eine echte Stadt noch viel leichter: am Roland, der zumeist mit Schwert und Schild bewaffnet über Markt­platz und Rathaus wachte. Mit diesen üblicher­weise aus Sandstein gefer­tigten Statuen des breto­ni­schen Markgrafen Hruotland (736 bis 778) verwiesen Gemeinden auf ihre Stadt­rechte. Ein besonders pracht­volles Exemplar steht übrigens in der großen, altehr­wür­digen Hanse­stadt Bremen.

Da erstaunt es erst einmal, dass das kleine Hehlingen (1.782 Einwohner) einen Roland sowohl im Wappen als auch als Statue in der Ortsmitte stehen hat. Tatsäch­lich aber verlieh Markgraf Hermann von Branden­burg dem Dorf bereits 1301 Vogtei­rechte, also die Erlaubnis, eine lokale Gerichts­bar­keit einzu­richten. Das feierten die Hehlinger einige Jahre später zu Recht mit einem reitenden Roland – ein Unikum zu jener Zeit.

Und hier wird es schmutzig: Der Legende nach sollen die Nachbarn aus Haldens­leben im Jahr 1419 – angeblich aus Neid – den Hehlinger Roland entführt haben. Dort streitet man die Geschichte bis heute vehement ab und behauptet statt­dessen, man selbst sei 1528 der Trend­setter in Sachen Aufs-Pferd-Setzen geworden. Empört heißt es etwa in einem „Volksstimme“-Artikel aus dem vergan­genen Jahr, in der Sockel­in­schrift des neuen Hehlinger Rolands lebe die Lüge (sic!) weiter.

Doch das ist nicht der einzige Angriff auf die Statue, die 2012 zur 900-Jahr-Feier des Ortes aufge­stellt wurde: Das Schwert der 3,50 Meter hohen Bronze­statue des Königs­lut­te­raner Künstlers Georg Arfmann haben Unbekannte bereits mehrfach entwendet. Auch wenn ich dahin­ge­hend einen dringenden, histo­risch begrün­deten Verdacht habe (Zwinkers­miley), äußere ich lieber einen Versöh­nungs­vor­schlag: Hehlingen bekommt ein Planet Hollywood und Haldens­leben ein Rainfo­rest Cafe, und wir lassen Urwald­gras über die Sache mit dem Roland wachsen. Darauf einen Signature-Drink im Sammelglas!

Alexander Kales

Ausgabe 15, Sommer 2022

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