…und Ikea-Einkäufe mit meiner Frau
Streng genommen sind Mittelaltermärkte kompletter Unsinn. Niemand, wirklich niemand benötigt ein Trinkhorn. Dass Dudelsackmusik das klangliche Äquivalent zur Wurzelbehandlung ist, ist gesellschaftlicher Konsens. Und Tierfell-Imitate gibt es auch bei Ikea; wobei das Mittelalter-Feeling hier insofern sogar noch ausgeprägter ist, als dass man sich an der Hotdog-Beladestation tatsächlich mit Krankheiten anstecken kann, die zur Ritterzeit ganze Landstriche ausradierten.
Heute haben Herpesviren, Masernerreger und Fäkalkeime ihren Schrecken verloren, weil wir ihnen ein breites Arsenal an Medikamenten und Impfstoffen entgegensetzen können. Noch bis vor knapp 100 Jahren sah das grundlegend anders aus: Eine größere Wunde war eine quälend lange Angelegenheit (wie der Ikea-Einkauf mit meiner Frau) und endete meist tödlich (ein entscheidender Unterschied zum Ikea-Einkauf mit meiner Frau). Als sich etwa der in Gifhorn regierende Herzog Franz von Braunschweig-Lüneburg im Jahr 1549 eine Infektion am rechten Fuß zuzog, konnte ihn auch eine Amputation nicht mehr vor einer Blutvergiftung retten.
Zurück blieben zwei Töchter und seine Frau: Clara von Lauenburg, mit der er zu diesem Zeitpunkt gerade einmal zwei Jahre verheiratet gewesen war. Und weil es im (ausgehenden) Mittelalter nicht nur an Antibiotika, sondern auch am Bewusstsein für die Gleichheit von Frau und Mann mangelte, wurde Clara nicht auf den Thron gesetzt, sondern in die Kutsche nach Fallersleben: Gerade einmal 31 Jahre alt bezog sie das dortige Schloss als Witwensitz.
Für die Bevölkerung war das ein Glücksfall. Denn Clara war nicht nur sozial engagiert, sondern auch außerordentlich intelligent und umfassend gebildet. In ihrer Kindheit hatte sie in einem Kloster sowohl Lesen und Schreiben als auch die Grundzüge von Wirtschaft und Heilkunde gelernt; und als Teenagerin führte sie ein royaler Schüleraustausch an den dänischen Königshof.
Als derart welterfahrene und kluge Frau verhalf Clara ihrer neuen Heimat Fallersleben zu einem nie dagewesenen Aufschwung: Sie ließ das Schloss fertigstellen und befestigen, setzte Marktrecht und Münzordnung durch, stärkte Kirche und Landwirtschaft. Zugleich pflegte sie beste Beziehungen zu den Königshäusern Skandinaviens und sogar zum deutschen Kaiser Karl V.
An diese glanzvollen Tage erinnert seit September 2005 auch eine Statue der Herzogin: 1,70 Meter misst die Bronzearbeit des Künstlers Patric Rottenecker, rund 100 Kilogramm bringt sie auf die Waage. Und sie ist unübersehbar inspiriert von der hölzernen Grabfigur der Herzogin in der Gifhorner Nikolai-Kirche. Sie trägt den gleichen wachen, gütigen Blick und die gleiche strenge Haartracht; das Kleid ist standesgemäß, aber keineswegs pompös.
Doch in zwei entscheidenden Merkmalen unterscheidet sich die Fallersleber Clara: Sie kniet nicht, sondern steht aufrecht; und sie hat die Hände nicht zum Gebet gefaltet, sondern hält in ihnen eine Schriftrolle mit Sigel als Insignien gleichermaßen von Bildung und Macht. Die Entscheidung fürs Pergament war nicht von Anfang an – Vorsicht, ganz schlechtes Wortspiel – in Stein gemeißelt. Im Kultur- und Denkmalverein Fallersleben als Initiator und Förderer der Staute standen auch Bierkrug und Kräuterstrauß zur Debatte, wurden aber als zu einseitig verworfen.
Denn Claras Leben beschränkte sich – wie bei vielen ihrer Zeitgenossinnen – eben nicht auf Teilaspekte; sie war eine One-Woman-Show und blieb es bis an ihr Lebensende: Erneut geheiratet hat die Herzogin nämlich nie, trotz einer vermutlich nicht unerheblichen Zahl an adligen Verehrern. Wozu auch? Historische Quellen zeigen, dass Clara wusste, wie es zu laufen hatte – und sich wohl von keinem Mann hätte hineinreden lassen. Und damit wären wir wieder beim Ikea-Einkauf mit meiner Frau …
Alexander Kales