Ein Hit für die Ewigkeit
HOFFMANN VON FALLERSLEBEN IST FALLERSLEBENS BERÜHMTESTER SOHN. UND IN ALLER MUNDE: DIE DRITTE STROPHE SEINES „LIEDES DER DEUTSCHEN“ IST DIE NATIONALHYMNE. WARUM SCHRIEB ER DIESES GEDICHT? WELCHE REAKTIONEN VERURSACHTE ER ZU SEINER ZEIT – IN DER ÖFFENTLICHKEIT UND UNTER DEN REGENTEN? AUF SPURENSUCHE AN EINEM BESONDEREN ORT.
Hoffmann von Fallersleben war ein Popstar – hätte es zu seiner Zeit Bestseller-Listen und Charts gegeben, die seine Beliebtheit belegen: Der Name von Fallersleben hätte weit oben gestanden. Denn was er schrieb, bewegte die Menschen. Weil sie wie er beseelt waren von der deutschen Idee: von Einigkeit, von Recht und von Freiheit. Hoffmann von Fallerslebens Verleger ließ die Verszeilen seines „Liedes der Deutschen“ auf vier Seiten drucken. Und wenige Tage nach Verkaufsstart hieß es: Nichts geht mehr, alle Ausgaben sind vergriffen.
Dr. Kurt Schuster heißt der Mann, der einem so ziemlich alles über das Leben von Hoffmann von Fallersleben und seinen Einfluss auf die Menschen erzählen kann. Mit Sicherheit gehört der Präsident der Hoffmann ‑von-Fallersleben-Gesellschaft zu den besten Kennern des Dichters – und damit auch des Deutschlandliedes. Am 26. August 1841, vor 175 Jahren, schrieb der Fallersleber auf Helgoland das Gedicht, das heute die deutsche Nationalhymne ist und nach der Melodie von Joseph Haydn gesungen wird.
Im Kavaliershaus neben dem Schloss Fallersleben – dort, wo früher die Gäste der feinen Herrschaften wohnten – hütet Kurt Schuster den Nachlass von August Heinrich Hoffmann, wie er zunächst hieß. Hinter einer schweren Tür aus Stahl befindet sich der wertvollste Teil des Wissensschatzes: Tagebücher, Notenblätter, Gedichte in der Handschrift von Fallerslebens, die von ihm und seinem Leben erzählen. Darunter Briefe an und von seiner Familie. „Das Schönste und Berührendste, was wir von ihm besitzen“, sagt Kurt Schuster.
Hoffmann von Fallersleben genoss seinen großen Erfolg und das weithin hörbare Medienecho in den Zeitungen. Zum einen, weil ihm eine gewisse Eitelkeit nicht fremd war. Und zum zweiten, weil ihm das Schreiben von Gedichten und Liedern viel mehr Spaß machte als seine eigentliche Profession: die des Professors und wissenschaftlichen Mitarbeiters der Universitätsbibliothek in Breslau.
Gut, dass er seinem Beruf nicht sein ganzes Augenmerk schenkte. Aus diesem Grund klingt nicht nur das „Lied der Deutschen“ heute in unseren Ohren, sondern auch viele Kinderlieder, „von denen die meisten gar nicht wissen, dass sie aus der Feder von Hoffmann von Fallersleben stammen“. Darunter „Ein Männlein steht im Walde“, „Alle Vögel sind schon da“ und „Morgen kommt der Weihnachtsmann“.
Hoffmann von Fallersleben, der gut mit den Brüder Grimm bekannt war, war ein moderner, unangepasster Typ. Das kam gut an. „Die Leute rissen sich um seine Gedichte“, sagt Kurt Schuster, ehemaliger Leiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Wolfsburg. Doch wie es eben ist mit großen Künstlern: Sie spalten die Öffentlichkeit in Anhänger und Gegner – so auch Hoffmann von Fallersleben, dessen oppositionellen Veröffentlichungen in den 39 Fürstentümern und Städten des Deutschen Bundes auf wenig Gegenliebe bei Herrschern und Zensoren stießen.
Auch das „Lied der Deutschen“ war nichts anderes als ein politisches Kampflied gegen die Kleinstaaterei im 19. Jahrhundert und für die deutsche Bewegung. Kurzum: Die Obrigkeit machte ihm wegen seiner Aufsässigkeit den Prozess, und er verlor nicht nur seinen Job, sondern auch seine preußische Staatsbürgerschaft.
In seinen Wanderjahren war Hoffmann von Fallersleben mal hier, mal da. Seinen Geburtsort Fallersleben, wo sein Vater Bürgermeister gewesen war und seine Schwester Wirtin in der Dorfschenke, besuchte er in dieser Zeit nur wenige Male. Bei einem dieser Anlässe musste er vor der Staatsgewalt fliehen – durch die Hintertür der Gaststätte, die heute das Hoffmannhaus ist.
Dass er in dieser Zeit finanziell nicht darben musste, war der Unterstützung seiner politischen Freunde geschuldet. Und seinen Werken, die sich weiterhin blendend verkauften, etwa die Liederbuchsammlungen für die Schulen. Ein- und Ausgaben hielt er penibel in seinem Haushaltsbuch fest, das auch zum Vermächtnis hinter der besagten Stahltür gehört. „Er konnte einfach nichts wegwerfen“, erzählt Kurt Schuster. Alle seine Rechnungen sind sorgfältig verbucht. „Genauso der Schoppen Wein für ihn wie auch die Vanillekipferl für seine Frau Ida.“
1848, in den Tagen der Deutschen Revolution, wird Hoffmann von Fallersleben rehabilitiert. Er darf sich wieder aufhalten, wo er möchte. Auch in Fallersleben, „wohin er stolz zurückkehrt und zum Vorsitzenden des politischen Klubs gewählt wird“. Ob es Hoffmann von Fallersleben mit Freude erfüllen würde zu wissen, dass sein Lied heute von allen gesungen wird? Und dass in diesem Jahr das ganze Land, von Fallersleben ausgehend, seines kulturellen und politischen Erbes gedenkt? „Ja, da bin ich mir ganz sicher“, sagt Kurt Schuster, „er hat sich so sehr gewünscht, dass sich sein Gedicht weit verbreitet. Hoffmann von Fallersleben hat ihm diesen Namen nicht von ungefähr gegeben: Es ist das ‚Lied der Deutschen’.“
Stefan Boysen