Weckruf für das Leben
Mit dem Job danebengelegen und in die Sucht hineingerutscht: Nicht immer hat das Schicksal es gut gemeint mit Andrej. Dass sein Weg ihn zur Kontaktstelle Wolfsburg geführt hat, ist allerdings eine glückliche Fügung.
„Hier fühle ich mich als Mensch angekommen“, sagt der 52-Jährige, „so sehr, dass ich gar nicht mehr wegwill.“
Die Kontaktstelle Wolfsburg ist ein Ort für psychische Erkrankte und Menschen in ernsten Lebenskrisen. Hier finden sie Beistand, Halt, neuen Mut. „Täglich sind es 15 bis 20 Besucher, die bei uns ein und aus gehen“, sagt Christoph Mai, der die Kontaktstelle leitet. Weder sei der Anlaufpunkt in der Kleiststraße eine Therapiestelle noch eine Suchtberatung. „Wir bieten Menschen mit Problemen einen geschützten Rahmen, um bei uns ihre Freizeit zu verbringen.“
Gemeinsam wird gekocht und gemalt, der Garten hinter dem Haus gepflegt und ins Kino gegangen. Und es wird miteinander geredet, sich den Mitmenschen anvertraut, ihnen das Herz ausgeschüttet. Christoph Mai ist Sozialpädagoge und Sozialarbeiter. Er weiß in schwierigen Lebenssituationen einen ersten Ausweg oder vermittelt den Kontakt „zu einer Einrichtung, die ein guter Ansprechpartner ist. Denn die Kontaktstelle Wolfsburg ersetzt nicht die fachliche Beratung.“
Genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger, ist das Miteinander mit jenen, die auch erkrankt oder in ähnlicher Notlage sind. Ein Gespräch unter vier oder mehr Augen kann viel bewirken. „Die Hauptsache ist, dass Probleme zur Sprache kommen und jemand zuhört“, sagt der 46-Jährige. Selbstverständlich ist das nicht: Viele Menschen seien wegen ihrer psychischen Krankheit „stigmatisiert und Vorurteilen ausgesetzt“.
Mit ihrem Angebot füllt die Kontaktstelle Wolfsburg eine Lücke zwischen Behandlung und Nachsorge. „Häufig kommen zu uns Menschen, die an Depression leiden oder Borderline-Patienten sind und deren Klinikaufenthalt drei, vier Wochen zurückliegt“, erzählt Christoph Mai. Wer in akuter Leidensphase das Hilfesystem für psychische Kranke in Anspruch nimmt und es nach einer Therapie mit Aufwind verlässt, ist vor plötzlichen Rückschlägen nicht gefeit. In diesem Fall bedarf es eines Helfers, der ein offenes Ohr hat und kurz entschlossen Rückhalt bietet – so wie die Kontaktstelle Wolfsburg, die von Venito Diakonische Gesellschaft für Kinder, Jugend und Familien gefördert wird.
Für die Lavie Reha gGmbH ist die Kontaktstelle ein wichtiger Kooperationspartner. Die Rehabilitationseinrichtung für Menschen mit psychischen Erkrankungen ist in Königslutter ansässig und wirkt weit darüber hinaus. Lavie-Ergotherapeut Lukas Hoffmann ist regelmäßig vor Ort und bestärkt die Besucher darin, Selbstvertrauen zu haben und selbstständig zu sein. Er schätzt die Kontaktstelle dafür, dass Betroffene einander zur Seite stehen und Lebenserfahrungen austauschen können. „In vielen Fällen kann diese Unterstützung viel mehr leisten als alles Schulwissen zusammen“, sagt Lukas Hoffmann.
Andrej kann dem nur beipflichten. Als es ihm schlecht ging, war es die Kontaktstelle, die ihn wieder aufgerichtet hat. Mittlerweile ist er im sogenannten therapeutischen Zuverdienst beschäftigt und zählt zum Team. Er sorgt dafür, dass der Dienstplan steht, der Vorratsschrank gefüllt ist und im Garten alles seinen geregelten Gang geht. Kurzum: Andrej ist die gute Seele des Hauses.
Mit dem Wissen, dass in seinem Leben Gutes und weniger Gutes geschehen ist, ist auch Andrej für alle da. Er weiß, wie sich vieles zum Positiven wenden kann – wenn man jemanden zum Reden und Zuhören hat. Für ihn seien die ersten Besuche in der Kontaktstelle wie ein Weckruf gewesen. Andrej sagt: „Wer ein Tief hat und nicht mehr weiterweiß: In der Kontaktstelle Wolfsburg stehen die Türen offen.“
Stefan Boysen
Kontakt:
Kleiststrasse 37
38440 Wolfsburg
Beitragsbild: © WMG, Foto: J. Guss
03/2023