Eine Kolumne über ein Thema zu schreiben, das im weitesten Sinne mit Religion zu tun hat, ist ein Minenfeld. Das erste Kennenlernen der Schwiegereltern mit einem Saunabesuch zu verbinden, selbst das ist vermutlich eine bessere Idee. Lassen Sie mich daher auf eine Weise beginnen, mit der ich ebenso zahlreich Gefühle verletzen kann: mit Schrebergärten.
Auch hier beäugen sich Anhänger*innen und Außenstehende mit Unverständnis; auch hier ringt stets die wahre Lehre mit der Häresie. Ja, Kleingartenvereine und Glaubensgemeinschaften haben eine Menge gemeinsam: Man ist in der Regel nicht in beiden Mitglied. Es gibt eine ganze Reihe unverrückbarer Gebote. Und beides hat – Achtung: Wortwitz – mit B(e)eten zu tun. Und obgleich weder erhobener Zeigefinger noch grüner Daumen mein Ding sind, genoss ich es jedes Mal, aus dem Großstadttrubel an einen Ort der Ruhe und des Schönen zu entfliehen.
In etwa so ging es Kirchenbesuchern*innen im Mittelalter: Beherrschten Braun, Grau und Beige in unterschiedlichen Nuancen den Alltag, sorgten sonntags Sakralbauten mit ihren farbenfrohen Bleiglasscheiben und vergoldeten Heiligenfiguren für Reizüberflutung – selbst im kleinen Nordsteimke. Die Ritter von Marenholtz hatten der Dorfkirche St. Nicolai nämlich um 1500 einen prächtigen, dreiflügeligen Schnitzaltar gestiftet: 2,42 Meter lang, 1,40 Meter hoch – die Madonna nicht mitgerechnet, die aber ohnehin nach der Reformation als zu katholisch hinter den Altar verbannt wurde.
Mittlerweile thront sie wieder über der Kreuzigungsszene, die sich als einzige über die gesamte Höhe des Altars erstreckt. Ansonsten ist er auf halber Höhe in acht Segmente geteilt. Die vier Fächer im Mittelteil zeigen die Apostel Petrus und Paulus sowie die Heiligen Maria Magdalena und Elisabeth. Die Flügel wiederum erzählen vier Szenen aus dem Leben des Heiligen Nikolaus. Diese Setzkasten-Optik hatte den Vorteil, dass jeweils Teilelemente bearbeitet werden konnten; jede einzelne Szenerie ist jedoch mit größter Präzision aus einem einzigen Stück Weichholz gefertigt.
Der Mann, der derlei Wunder vollbrachte, war der Schnitzer Konrad Borgentrik aus Höxter. Der hatte in Braunschweig die Witwe des Malers Kurt von Hagen geheiratet und war so in den Besitz eines stattlichen Hauses und einer Werkstatt gekommen. Obwohl er von dort Kirchen in ganz Niedersachsen und Westfalen mit Schnitzaltären belieferte, reichte das Geld hinten und vorne nicht. Tatsächlich waren die Verhältnisse wohl so chaotisch wie jener Teil der Welt, der nicht vom Bundeskleingartengesetz geregelt wird.
Alexander Kales
Ausgabe 10, DEIN WOLFSBURG, 2019