Eishockey ist nur was für harte Männer, heißt es allgemein. Die zehnjährige Amelie Hay ist da anderer Meinung und spielt als Torhüterin bei den Young Grizzlys Wolfsburg. Für das ungewöhnliche Hobby nehmen Amelie und ihre Eltern viel Aufwand und Kosten auf sich.
Auf den ersten Blick könnte man durchaus denken, dass es irgendwie ziemlich verrückt ist, dass sich ein Mädchen wie Amelie in ein Tor beim Eishockeyspiel stellt. Dass das bestimmt nicht
jedermanns Sache ist, merkt man schnell beim Training der Young Grizzlys in der EisArena im Allerpark: In unregelmäßigen Abständen donnern schwarze Pucks mit Wucht gegen die Banden. Bumm, bumm, bumm schallt es laut durch die Halle. Immer wieder schießt ein Trainer auf das Tor, vor dem Amelie und daneben zwei andere Jugendtorhüter stehen und versuchen, die heransausenden Pucks zu blocken oder mit ihren Fang-Handschuhen zu erwischen. Einige der Pucks werden nicht abgewehrt und krachen in die Bande. Zwar sind Schlagschüsse beim Jugendeishockey ebenso wenig erlaubt wie Bodychecks, dennoch wird auch ein Schuss nur aus dem Handgelenk unheimlich schnell: Bis zu 140 km/h sind es bei den Profis.
Ganz so doll wird in der Jugend nicht geschossen, dennoch drängt sich die Frage auf, ob sich Amelies Eltern keine Sorgen machen. „Dafür besteht kein Grund“, verneint Mutter Stefanie. „Sie ist ja geschützt und gepolstert wie ein Michelin-Männchen.“ Als Amelie vom Eis kommt, setzt sie ihren Helm ab und antwortet darauf, ob so ein Puck nicht ab und zu weh tut, mit der trockenen Feststellung: „Die sind auch nur aus Gummi.“ Halb so schlimm also. Fragen zu der vermeintlichen Gefährlichkeit ihres Sports kennt sie. Genauso wie die überraschten Reaktionen, wenn sie erzählt, dass sie Eishockey spielt. Und dann auch noch im Tor. „Meine Schulkameraden finden das aber cool.“
Mit sieben Jahren fing Amelie mit Eishockey an. Auslöser dafür war ihr Vater Hermann, der jahrelang als Sportfotograf tätig war und sie irgendwann zu einem Spiel der Grizzly Adams mitnahm, weil sie sich das selbst ansehen wollte. „Ich fand alles interessant und wollte es dann selbst ausprobieren.“ Nach einem Besuch in der Laufschule der Young Grizzlys ging es zum Schnuppertraining – die Begeisterung war entfacht. „Amelie ist sportverrückt wie der Papa“, sagt Mutter Stefanie. „Und wenn etwas nicht klappt wie gewünscht, will sie es erst recht wissen.“ So war das auch mit dem Schlittschuhlaufen. „Am Anfang war das doof“, erinnert sich Amelie. „Aber dann habe ich es doch schnell gelernt.“ Ins Tor wollte sie von sich aus, das war schon so, als sie noch Fußball spielte.
Amelie ist eines von vier Mädchen bei der U11 der Young Grizzlys. Eine Trennung zwischen den Geschlechtern gibt es im Eishockey nur bei den Nationalteams. Und so wie Amelie mit strahlenden Augen vom Eishockey erzählt, glaubt man sofort, dass sie alles dafür geben wird, um mit den männlichen Spielern mithalten zu können. Dafür investiert sie einiges an Zeit: Neben dem Training dienstags und mittwochs, zu dem sie von ihrem Wohnort Hoitlingen gefahren werden muss, sind es vor allem die Spieltage, bei denen die Young Grizzlys gegen andere Teams antreten, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Bis zu zweieinhalb Stunden dauern diese Mini-Turniere, die von Herbst bis Frühling jedes dritte Wochenende stattfinden. Nach Timmendorf, Rostock oder sogar in die Niederlande geht es dann. Eine Abfahrt frühmorgens um 4:30 Uhr ist keine Seltenheit. Meistens reisen die Eltern mit ihr zusammen an. Manchmal schon einen Tag vorher, dann mit Hotel-Übernachtung.
Das geht ins Geld, und Eishockey-Torhüter*in ist ohnehin kein günstiges Hobby: Amelie hat zwei Ausrüstungen, eine für das Spielen im Feld und eine fürs Tor. Rund 200 Euro für einen Helm, 500 bis 1.000 Euro für Torwart-Knieschoner, dazu kommen noch andere Dinge wie Brustpanzer, Handschuhe oder Schläger – da summiert sich schnell ein stattlicher Betrag. „Zumal die Kinder ja laufend neue Sachen brauchen, wenn sie wachsen“, sagt Vater Hermann. Immerhin können ein paar Sachen gebraucht und damit günstiger gekauft werden. „Amelie beteiligt sich auch an den Kosten und wünscht sich zum Beispiel Ausrüstung zu Weihnachten oder zum Geburtstag.“ Was sie gern macht, schließlich ist Eishockey ihre Leidenschaft. „Weil es so ein schneller Sport ist, viel schneller als Fußball“, sagt sie. Zudem hat sie bei den Young Grizzlys viele Freunde gefunden. Wie ihre beste Freundin Henrike Westermann, die ebenso begeistert dem Puck hinterherjagt. Was bei genauer Betrachtung gar nicht verrückt wirkt.
Tobias Kuske
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Ausgabe 11, DEIN Wolfsburg, 2020