Das „Memoria Projekt“ ist kein Theaterstück mit festem Drehbuch, sondern ein Laborversuch: Die teilnehmenden Schüler*innen aus Wolfsburg und Umgebung erarbeiten sich Thema und Darstellungsformen selbst – und zeigen auf der Bühne des Scharoun-Theaters jüdische Geschichte und Gegenwart in inhaltlicher und künstlerischer Vielfalt.
Zwei Monate bis zur Generalprobe. Zwei weitere bis zur Aufführung. Und noch immer kein Drehbuch, kein Skript – ja, nicht einmal so etwas wie eine Struktur. „Die wird es auch nicht geben“, sagt der Theatermacher am anderen Ende der Telefonleitung. Aber: Kann das funktionieren? Eine Inszenierung als Laborversuch? Dramaturgie per Whatsapp-Gruppe?
Ja – sogar sehr gut. Einige hundert Mal hat der israelische Musiker, Regisseur und Dramaturg Eyal Lerner das „Memoria Projekt“ so auf die Bühne gebracht, mit wechselnden Schwerpunkten bei Inhalten, Botschaften und Kunstformen. Gerade dass sich der Autor zurücknimmt und knappe Anweisungen – oder besser gesagt: Anregungen – per Smartphone gibt, schafft den notwendigen Freiraum: Für eine Beschäftigung mit Judentum und Holocaust, die nicht verordnet ist, sondern sich in der Erfahrungswelt der teilnehmenden Schüler*innen aus sechs ganz unterschiedlichen Schulformen entwickeln kann.
Dabei hilft ihnen zweierlei: zum einen die freie Wahl der Ausdrucksform von der Literatur über das Sprechtheater bis hin zu Tanz und Gesang; zum anderen eine Lokalisierung des Themas. Die Quellen, die Verbrechen an jüdischen Zwangsarbeiter*innen dokumentieren, stellen das städtische Institut für Zeitgeschichte sowie die Historische Kommunikation von Volkswagen zur Verfügung. „Eyal Lerner ergänzt diese Dokumente dann um eigenes Material“, erklärt Judith Jungk, die das „Memoria Projekt“ aufseiten des Scharoun-Theaters Wolfsburg leitet.
Und dieses Material vertieft nicht nur, sondern erweitert die Perspektive: Über Shoa und Schuld hinaus sollen Einblicke in jüdisches Leben und jüdische Kultur vermittelt werden. Denn das „Memoria Projekt“ ist nicht bloße Aufarbeitung; es ist ein Verstehen, ein Kennenlernen, ein Brückenbau. Die Schwerpunkte innerhalb dieses Spektrums wählen die teilnehmenden Schulen selbst. Wenn also am 13. November die Schüler*innen und Lehrkräfte aus dem Ratsgymnasium, der Neuen Schule, der Hauptschule Vorsfelde, der Leonardo da Vinci Schule, der Freien Waldorfschule
sowie der Realschule am Drömling erstmals gemeinsam auf der Bühne stehen, fächern sie eine Vielfalt an Themen und Kunstformen auf.
Dass es dabei an Abstimmung untereinander fehlt und Durchgängigkeit mangelt, ist für Darstellende und Publikum ein Gewinn: Das Laborhafte des „Memoria Projekts“ bietet individuelle Zugänge zur Geschichte und Gegenwart des jüdischen Lebens. „Und das trägt maßgeblich zu einer toleranteren Gesellschaft und einem respektvollen Miteinander bei“, betont Judith Jungk.
Alexander Kales
Ausgabe 10, DEIN WOLFSBURG, 2019