Orange für eine gewalt­freie Stadt

Hier finden Opfer Hilfe

Körper­liche oder psychi­sche Gewalt in Bezie­hungen sind Tabuthemen. Betrof­fene Frauen schweigen oft, weil sie sich schämen oder um ihren Partnern nicht zu schaden. Dabei kann Opfern diskret und wirkungs­voll geholfen werden. 

Orange leuch­teten im vergan­genen November das Wolfs­burger Rathaus, die Autostadt, das phaeno und viele andere Wahrzei­chen der Stadt. Mit der Farbe Orange setzten die Organi­sa­toren der Aktion ein Zeichen gegen Gewalt, die sich gegen Mädchen und Frauen richtet. Das Gleich­stel­lungs­re­ferat und Multi­pli­ka­toren in der ganzen Stadt schlossen sich den Vereinten Nationen an, die bereits seit Jahren mit der Kampagne „Orange Your City“ auf das Problem aufmerksam machen.

Ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Wolfsburg überhaupt ein Thema? „Ja“, sagt Antje Biniek, seit Jahres­an­fang Gleich­stel­lungs­be­auf­tragte der Stadt Wolfsburg. Etwa 300 Wolfs­bur­ge­rinnen wenden sich jährlich alleine an die Beratungs- und Inter­ven­ti­ons­stelle gegen häusliche Gewalt, kurz BISS genannt.

Gleich­wohl ist Gewalt gegen Frauen ein tabui­siertes Thema. Deshalb ist die Dunkel­ziffer hoch. Viele betrof­fene Frauen schämen sich, um Hilfe zu bitten. Und vielen ist nicht einmal klar, dass sie Opfer von Gewalt geworden sind. Denn die Facetten häusli­cher Gewalt sind vielfältig. Darunter ist nicht nur ein blaues Auge zu verstehen, verdeut­licht Antje Biniek.

Zu häusli­cher Gewalt zählen auch psychi­sche Gewalt und die negativen Folgen struk­tu­reller Abhän­gig­keit. Mit Drohungen und anderen Mecha­nismen werden Frauen  verbal unter Druck gesetzt. So üben Männer, die ihrer Ehefrau ein eigenes Konto verwei­gern und ihr statt­dessen ein Taschen­geld geben, bereits psychi­sche Gewalt aus.

Die Ursachen für solche Verhal­tens­weisen sieht Antje Biniek zum einen im Modell der klassi­schen Partner­schaft, das in unserer Gesell­schaft immer noch vorherr­schend ist: Die Frau geht in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau auf, während der Mann über seine Berufs­tä­tig­keit die Familie ernährt. Die struk­tu­relle Abhän­gig­keit vom Partner ist Nährboden für eine Gewalt­be­zie­hung, erklärt sie. „Finan­zi­elle Unabhän­gig­keit ist ein ganz wichtiges Thema, wenn die Frau nach einer Trennung den Lebens­stan­dard halten möchte“, so Biniek.

Gleich­zeitig weiß sie, dass jungen Frauen angesichts der vielfäl­tigen Möglich­keiten, die ihnen offen­stehen, oft die Orien­tie­rung fehlt. „Ich bemerke manchmal eine gewisse Haltlo­sig­keit. Es gibt Menschen, die einen klaren Rahmen brauchen. Sie gehen leicht eine Beziehung ein, in der sie in eine Abhän­gig­keit kommen.“

Deshalb legt die Gleich­stel­lungs­be­auf­tragte den Fokus auf Aufklä­rung und Sensi­bi­li­sie­rung. Die beste Vorbeu­gung gegenüber häusli­cher Gewalt seien mündige und emanzi­pierte Frauen, sagt sie. „Aber wir müssen die Menschen auch befähigen, selbst­stän­dige Entschei­dungen zu treffen und selbst Hilfe zu holen. Und sie sollten wissen, wer ihnen helfen kann.“

Die Hilfs­an­ge­bote in Wolfsburg reichen vom Hilfe­te­lefon, das in akuten Fällen vertrau­lich und kosten­frei rund um die Uhr zur Verfügung steht, bis hin zu verschie­denen Beratungs­an­ge­boten. So unter­stützt beispiels­weise der Verein Dialog e. V. Opfer von häusli­cher Gewalt. In der Beratungs- und Inter­ven­ti­ons­stelle (BISS) finden Frauen auch kurzfris­tige Hilfe zur Umsetzung ihrer Rechte. Dazu kann beispiels­weise zählen, den Gewalt­täter aus der Wohnung verweisen zu lassen. Ebenfalls unter dem Dach des Dialog e. V. berät die Beratungs­stelle „Courage“ Frauen und Männer, die Gewalt erfahren haben und Wege suchen, damit fertig zu werden.

Zuflucht im Notfall finden Frauen und Kinder in Frauen­häu­sern in Wolfsburg und der Region. Hier arbeiten ausschließ­lich Frauen, die Bewoh­ne­rinnen in allen anste­henden Entschei­dungen unter­stützen und beraten. Autonome Frauen­häuser sind ausschließ­lich im Interesse der Bewoh­ne­rinnen tätig. Frauen, die im Frauen­haus Zuflucht suchen, wird geraten, persön­liche Sachen und wichtige Dokumente wie Ausweis, Pass und Heirats­ur­kunde mitzubringen.

Für den Alltag möchte Antje Biniek alle Menschen ermutigen, zu handeln, wenn sie mitbe­kommen, dass es in ihrer Nachbar­schaft oder im Freun­des­kreis mögli­cher­weise zu gewalt­tä­tigen Szenen kommt. Sie hat in solchen Fällen gute Erfah­rungen damit gemacht, die Polizei­in­spek­tion anzurufen und die Situation zu schildern. „Ich kann als Außen­ste­hender ja nicht unter­scheiden, ob sich das Paar nebenan leiden­schaft­lich streitet oder ob tatsäch­lich Gefahr im Verzug ist“, sagt sie. Der Anruf bei der Polizei könne auch als wichtiges Signal wirken und verdeut­li­chen: Es bleibt nicht unbemerkt, was in der Nachbar­schaft passiert.

Übrigens soll Wolfsburg auch in diesem Jahr wieder orange­farben leuchten. Das Gleich­stel­lungs­re­ferat plant, in 2020 wieder dabei zu sein, wenn die Vereinten Nationen aufrufen zu „Orange Your City“.

Beate Ziehres

Wichtige Telefon­num­mern bei häusli­cher Gewalt

Hilfe­te­lefon bei Gewalt gegen Frauen: 08000 116016 (vertrau­lich, kosten­frei, 24 Stunden besetzt, mehrsprachig)

Frauen­haus Wolfsburg: 05361 23860 (Schutz für Frauen und ihre Kinder in akuten Gewaltsituationen)

Hilfe-Telefon Dialog e. V.: 05361 8912300

Krisen­te­lefon Zwangs­heirat: 0800 0667888 (kostenlos, vertrau­lich, auch auf Türkisch)

Polizei­in­spek­tion Wolfsburg: 05361 46460

Stichwort Istanbul-Konven­tion

Der Bund unter­stützt den Ausbau von Beratungs­stellen und Frauen­häu­sern. Das Förder­pro­gramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ des Bundes­frau­en­mi­nis­te­riums stellt zu diesem Zweck in den kommenden vier Jahren 120 Millionen Euro bereit. Denn mit dem Beitritt zur sogenannten Istanbul-Konven­tion des Europa­rates von 2011 hat sich Deutsch­land verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Außerdem soll Betrof­fenen Schutz und Unter­stüt­zung gewährt und Gewalt verhin­dert werden.

Ausgabe 11, DEIN WOLFSBURG, 2020

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