Cool, ich lebe“

Die Wolfs­bur­gerin Sabrina Möllring hat eine neue Lunge bekommen – angesichts der geringen Bereit­schaft zur Organ­spende war das ein echter Glücksfall.

Über Organ­spende zu schreiben, ist wirklich nicht leicht. Es ist schwierig, den richtigen Ton zu treffen, den passenden Schwer­punkt zu setzen, die geeignete Perspek­tive einzu­nehmen. Vielleicht, weil sich bei diesem Thema alles überla­gert: Leben und Sterben, Hoffnung und Sorge, Glück und Trauer. Ein Spender­organ trans­plan­tiert zu bekommen, das ist ein Ende und ein Anfang zugleich. Und jede Geschichte ist untrennbar mit zwei Schick­salen verbunden – Spender*in und Empfänger*in.

Darum erst einmal die nüchternen Fakten: Etwa 9.000 Menschen in Deutsch­land stehen auf der Warte­liste für eine Organ­trans­plan­ta­tion. Demge­gen­über gab es 2019 gerade einmal bundes­weit 932 Organ­spen­de­rinnen und Organ­spender, also lediglich 11,2 Organ­spenden je eine Million Einwohner*innen. In Europa gehört Deutsch­land damit – leider – zu den Schluss­lich­tern. Für die aller­meisten Patien­tinnen und Patienten bedeutet das, teilweise jahrelang auf ein Organ zu warten; und für einen erheb­li­chen Teil von ihnen kommt das rettende Angebot oftmals zu spät.

Dieses Warten, das ist die Hölle! „Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um ein Brötchen zu essen, weil es so anstren­gend für mich war“, erinnert sich Sabrina Möllring an die letzten Wochen vor der Trans­plan­ta­tion. In der Schluss­phase ihres „alten“ Lebens war sie permanent auf Hilfe, Sauer­stoff und irgend­wann sogar auf ein Beatmungs­gerät angewiesen: beim Zähne­putzen, beim Anziehen, beim Schlafen. „Die Treppe habe ich mich hochge­zogen. Denn getragen zu werden, dafür war ich zu stolz“, lacht die Wolfs­bur­gerin heute.

Die 32-Jährige leidet an einem seltenen Immun­de­fekt. Dieser hat seit ihrer Kindheit ihre Lunge immer stärker zerstört: Jahr für Jahr, Bronchie für Bronchie. Am Ende gab es nur eine Wahl für Sabrina Möllring: Tod oder Trans­plan­ta­tion. Tatsäch­lich ist das keine Entschei­dung, die für die betrof­fenen Patien­tinnen und Patienten besonders leicht wäre. Denn das Leben nach der Trans­plan­ta­tion ist ein völlig anderes. Es verlangt eiserne Disziplin, geht mit Einschrän­kungen und einem strengen Regelwerk einher und ist dennoch pures Glück: „Cool, ich lebe“, war Sabrina Möllrings erster Gedanke nach der Transplantation.

Inzwi­schen haben sich diese Gedanken zu einem neuen Werte­kom­pass weiter­ent­wi­ckelt: „Ich lebe bewusster, bin auch für kleine Dinge dankbar, und die Achtsam­keit hat für mich einen zentralen Stellen­wert.“ Die Legende vom Leber­trans­plan­tierten, der gleich nach der Operation zur Schnaps­fla­sche greift; das Märchen von der Lungen­trans­plan­tierten, die sich als erstes eine Zigaret­ten­schachtel ins Kranken­zimmer schmug­geln lässt: Solche Lügen­ge­schichten sind vor allem eine himmel­schrei­ende Gemein­heit gegenüber Menschen wie Sabrina Möllring, die von Kindes­beinen an stets für ihre Gesund­heit kämpfte.

Ihre Biografie ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Tatsäch­lich ist bereits ein Platz auf der Warte­liste ein großes Geschenk: Die Kriterien, die an die Patien­tinnen und Patienten angelegt werden, sind knallhart. Abgesehen von dem Organ­leiden müssen sie sowohl physisch als auch psychisch gesund sein. Wer eine zweite Chance bekommt, der soll sie bestmög­lich nutzen – quanti­tativ wie qualitativ.

Lange leben, glücklich leben – das hat sich auch Sabrina Möllring vorge­nommen. In ihrem zweiten Jahr nach der Organ­spende, während die Corona-Pandemie ihren Höhepunkt erreichte, hat sie gehei­ratet – im weißen Kleid im Wolfs­burger Schloss­park und einem „Ehrengast“: Die unbekannte Organ­spen­derin, der anonyme Organ­spender ist in solchen Momenten immer dabei. Auch wenn er*sie keinen Namen trägt, die 32-Jährige weder Alter noch Gesicht kennt, so ist er*sie doch eine wichtige Person in ihrem Leben. „Ich bin ihm oder ihr gegenüber so dankbar, dass ich keine richtigen Worte dafür finde“, sagt Sabrina Möllring. „Mit ihrem Kreuz auf dem Organ­spende-Ausweis hat dieser Mensch nicht mein Leben verändert, sondern es mir neu geschenkt.“

Alexander Kales

(Ausgabe 12, Winter 2020)

Weitere Infos unter: www.organspende-info.de

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