Hygiene im Ost
Es gleicht einer archäologischen Sensation: Bei der Sanierung des Jugendhauses Ost stießen Arbeiter auf einen vergessenen Kellerraum, bestückt mit provisorischer Theke, ranzigem Mobiliar und Getränkeresten. Dabei handelt es sich um die Hinterlassenschaften einer illegalen Punk-Kneipe, die ein eingeschworener Kreis 1989 unter dem Namen „Hygiene“ betrieben hatte. Davon erzählt „Pfaffe“ vom Betreiberkollektiv, und von den ersten Schritten im neu entdeckten Keller berichtet Fotograf Lars Hung. Im Sommer soll das Jugendhaus Ost frisch saniert wieder an den Start gehen – jedoch ohne, dass dieser legendäre Keller wieder genutzt wird.
Das Brox im Jugendhaus Ost
Es begann in der „Bronx“: So nannten die Jugendlichen aus Kaschpa und Ost das Areal am Walter-Flex-Weg, auf dem sie sich Ende der
Achtziger auf Sperrmüllmöbeln zusammensetzten und Lagerfeuer entfachten. Eines Tages, berichtet „Pfaffe“, dessen Name der Redaktion bekannt ist, entdeckten sie in einer abseitigen Wand des Ost eine versteckte Stahltür. Dahinter verbarg sich ein Raum mit zwei Durchbrüchen zu weiteren Räumlichkeiten. Die Jugendlichen rissen die Deckenplatten herunter, zimmerten aus herumliegenden Balken Sitzbänke und eine notdürftige Theke und gestalteten die Wände mit Graffiti – so war die „Hygiene“ geboren. Getränke, darunter stilechte Karlsquell-Bierdosen und Wodka-Lemon, gab es für eine Mark, Licht kam von Kerzen und Musik aus einem Walkman mit Aktivlautsprechern, denn Strom oder Wasser gab es nicht.
Geheime Partys im Hygiene
Nur „alle paar Wochen“, so „Pfaffe“, nahm diese „Hygiene“ ihren Betrieb auf, ansonsten trafen sich die Jugendlichen weiter am Lagerfeuer und tarnten die Tür, „damit sie nicht so spannend war“. Bisweilen kamen andere Partygänger an der „Bronx“ vorbei und erkundigten sich nach der „neuen Kneipe“, aber die hielt der eingeschworene Kreis geheim. Die Partys darin wurden zur Legende, Zeitzeugen erinnern sich an 30, 40 Gäste pro Abend, geschlossene Beziehungen, verspeiste Weberknechte und Rauchschwaden, die aus dem Keller quollen. „Pfaffe“ lacht: „Nur einmal bin ich dort nicht versackt, sonst bin ich da morgens immer aufgewacht, auf dem Sofa.“
Bis das Ganze nach nur einem fidelen Sommer aufflog und sich die Kneipiers vor der zugeschweißten Tür wiederfanden. Später wurde sie sogar zugemauert und Erde davor geschüttet. Und vergessen, auch von der Stadt, der das Ost gehört. Und die es nun, 30 Jahre später, saniert und dabei die „Hygiene“ wiederentdeckte. Zufällig, denn direkt darüber befindet sich ein früheres Lager, das nach einem Brand in den Achtzigern nicht mehr nutzbar war, jetzt aber stabilisiert werden sollte. Dafür musste ein neues Fundament errichtet werden, weshalb Arbeiter die Bodenplatte aufstemmten – und so auf den vergessenen Keller stießen.
Heute ist die „Hygiene“ lediglich über eine Aluleiter zugänglich. Das Innere sieht aus wie frisch verlassen, und so entdeckte es auch Hung, als er es mit einer 360-Grad-Kamera dokumentierte: „Ein Sofa, eine Theke, eine Flasche Kümmerling, Karlsquell-Dosen“ erblickte er im Baulampenlicht, in den Nachbarräumen eine Matratze und Geröll, überall Graffiti. „Geruchsmäßig war es unauffällig“, wundert er sich. Eine Offenbarung für Hung, der in den Neunzigern als Zivi und im Aktionsrat, kurz: A‑Rat, im Ost aktiv gewesen war und von dem Raum nur gerüchteweise gehört hatte.
Jedoch ist der „Hygiene“ keine zweite Ära beschieden, erklärt Dr. Christian Brinsa, Leiter des Geschäftsbereichs Hochbau der Stadt: Der Keller wird nicht reaktiviert. Nach einer Bestandsaufnahme werden das Mobiliar und der Sperrmüll entsorgt. In dem früheren Lager darüber hingegen entsteht der neue Gruppenraum für den A‑Rat. Wie der Keller vor der „Hygiene“ genutzt wurde, ist unklar; die vorgefundenen Raumstrukturen lassen vermuten, dass es sich um Lagerbereiche sowie eine Garage handelte, so Brinsa. Unterlagen, die eine eindeutige Nutzung belegen, liegen nicht vor.
Dabei ist das Ost grundsätzlich gut dokumentiert, es handelt sich nämlich um das letzte Barackengebäude der Bullenbergsiedlung aus der Zeit der Stadtgründung. 1978 retteten es Jugendliche vor dem Abriss, indem sie mit städtischem Segen das Jugendhaus darin einrichteten, und 1989 wurde es zum offiziellen Denkmal der Stadt. Seit November 2019 wird es saniert, es wird technisch erneuert, barrierefrei gemacht und die Raumstruktur verändert: Der Eingang erfolgt nun über den Anbau, auch die WCs sind dorthin verlegt worden. Einige stillgelegte Räume sind nun wieder nutzbar, zudem erweitert eine neue Werkstatt den Vorbereich; das 845 Quadratmeter große Gebäude erhielt 35 Quadratmeter neuen Raum. Trauer um die Graffiti im Flur ist gottlob nicht angebracht: Sie bleiben weitgehend erhalten.
Für die Stadt und den A‑Rat, der das Ost bespielt, war dies übrigens die erste Zusammenarbeit dieser Art. Mit für beide Seiten positivem und lehrreichem Ergebnis, betont Corinna Jüptner vom A‑Rat: „Wir hatten eine Arbeit auf Augenhöhe.“ Die Wiedereröffnung des Ost ist für diesen Sommer angesetzt, verzögert durch Corona und deswegen nicht genau terminierbar. Der A‑Rat arbeitet aber längst am Programm;
das reicht „von einer offenen Werkstatt über Siebdruck bis hin zu den Proberäumen oder irgendwann wieder Caféöffnungen“, so Jüptner. Für diese Neueröffnung plant Hung indes etwas Besonderes: Nicht nur den Keller fotografierte er in 3D, auch das gesamte Gebäude vor dem ersten Sanierungs-Handschlag – und plant einen Rundgang mit Virtual-Reality-Brillen durch das alte Ost im neuen Ost. Auch in die „Hygiene“ können die Gäste dann zurückkehren – zumindest virtuell.
Matthias Bosenik
Einen weiteren Artikel zum Jugendhaus Ost findet ihr hier.
Zur städtischen Seite des Jugendhaus Ost gelangst du über diesen Link.