Schön ist die Welt
Umziehen und dann auch noch ins Ausland: Für sogenannte Third Culture Kids ist es nicht einfach, ihr vertrautes Zuhause zu verlieren. Doch es gibt für die Kinder auch etwas zu gewinnen. Wir haben zwei junge Frauen gebeten, auf ihre Kindheit zurückzublicken und von ihren Erfahrungen zu erzählen. Und wir haben eine Expertin gefragt, wie Eltern das Wohl ihrer Kinder im Blick behalten, wenn die zwischen den Welten aufwachsen.
„Ich habe eine andere Welt kennenlernen dürfen“
Hanna
Ich war zehn Jahre alt, als wir nach Changchun in China gezogen sind – für chinesische Verhältnisse mit fast acht Millionen Einwohnern eine Kleinstadt.
Vor der Abreise hatte ich Angst, aber letztlich überwogen Vorfreude und Abenteuerlust. Zu Anfang wurde ich von den neuen Eindrücken überrollt. Weil ich ein kleines, süßes und blondes Mädchen war, wollten die Menschen sogar Fotos mit mir machen. Ich bin auf eine deutsche Schule gegangen. Da ich in der Klasse nur drei Mitschüler hatte, konnte ich konzentriert lernen und wurde individuell gefördert.
Als ich 15 war, ging es in eine noch größere Millionenstadt: Shanghai. Die internationale Stadt mit ihren riesigen Wolkenkratzern hatte viel für uns im Angebot, auch ganz spontan konnten wir immer etwas unternommen. Toll war die Atmosphäre in den Parks, wo ich oft den Chinesen beim traditionellen Frühsport Tai Chi zugeguckt habe. Allerdings: So wie in Wolfsburg mal eben mit dem Fahrrad in die Stadt zu fahren oder zu Fuß in den Stadtwald zu gehen, war in Shanghai unmöglich. Richtig raus in die Natur kamen wir nur mit dem Auto.
Wer ins Ausland geht, sollte den Menschen gegenüber offen sein und auch dann, wenn man die Sprache noch nicht so gut kann, viele Fragen stellen – das geht einfacher, als man denkt. Und man sollte so viel sehen wie nur möglich. Ich war in Japan, Indonesien, Thailand, Vietnam, auf den Philippinen, in der Mongolei und habe eine andere Welt kennenlernen dürfen.
Was die Zeit in China mit mir gemacht hat? Sie hat mich positiv geprägt, ich bin mutig geworden. Ich denke, dass ich gut darin bin, mit Veränderungen umzugehen und Dinge selbst in die Hand zu nehmen. In Deutschland wäre ich eine andere Person geworden.
Übrigens: Das chinesische Essen ist um Längen besser als das deutsche. Wie die Chinesen es schaffen, aus wenigen Zutaten etwas Großes zuzubereiten, ist beeindruckend. Ich koche heute noch viel chinesisch.
Hannah Gustke ist 19 Jahre alt, hat acht Jahre in China gelebt und studiert heute Philosophie und Volkswirtschaftslehre in Göttingen.
„Ich sehe mich als Global Citizen, als Weltbürgerin“
Johanna
Alle zwei, drei Jahre die Sachen zusammenzupacken und woanders zu wohnen, ist ganz normal für mich. Auch als ich klein war, fiel mir das nicht besonders schwer. Mit vier Jahren bin ich gemeinsam mit meiner Familie nach London gezogen, später haben wir in Prag und Barcelona gelebt. Ich sehe mich als Global Citizen, als Weltbürgerin.
In allen Städten bin ich an internationalen Schulen gewesen, überall habe ich eine neue Kultur kennengelernt. Dass ich in jedem Land die Sprache lernen und mich schnell einfinden musste, hat mich zu einem sehr disziplinierten Menschen werden lassen. Heute profitiere ich von dieser Disziplin, zum Beispiel in meinem Studium.
Ob ich in Zukunft in Deutschland leben werde? Darüber denke ich häufig nach. Am liebsten würde ich noch ein paar Mal umziehen, ich habe eben Fernweh. Vielleicht zieht es mich für mein Master-Studium in die USA, auch in Asien möchte ich gerne einmal wohnen. Was mir an Wolfsburg gut gefällt: Jeder scheint den anderen zu kennen, weil die Stadt relativ klein ist. Wenn ich mit meiner Mutter einkaufen gehe, dann treffen wir immer jemanden, der uns grüßt.
In eine andere Stadt zu ziehen, mag sich manchmal wie das Ende der Welt anfühlen. Doch habe ich die Erfahrung gemacht, dass man wirklich gute Freundschaften von überall aus bewahren kann. Auch habe ich gelernt, an jedem Ort nette Menschen zu finden, mit denen ich gerne meine Zeit verbringe.
Auch wenn mir die ganz enge Bindung zu einer Stadt natürlich fehlt: Dass ich in vielen Kulturen aufgewachsen bin, sehe ich in einem positiven Licht. Ich weiß heute wirklich zu schätzen, was ich alles erleben durfte.
Johanna Stackmann ist 20 Jahre alt, ist in London, Prag und Barcelona aufgewachsen und studiert heute Jura und Politik in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs.
Stefan Boysen
„Kinder dürfen traurig und wütend sein“
Third Culture Kids sind Kinder, die aufgrund des Berufes ihrer Eltern häufig den Wohnort wechseln und in mehreren Kulturen aufwachsen. Wie bewältigen sie diese Situation? Ann Wöste ist Kinder- und Jugendcoach, selbst Mutter von zwei Third Culture Kids, und hat für den Internationalen Freundeskreis Wolfsburg einen Vortrag zum Thema gehalten.
Frau Wöste, wie behalten Eltern das Wohl ihrer Kinder im Blick, wenn diese in verschiedenen Ländern groß werden?
Sie sollten sich bewusst machen, dass es das Phänomen der Third Culture Kids gibt und dass das Heranwachsen in mehreren Kulturen bei Kindern Spuren hinterlässt. Ein guter Einstieg ist, auf die Erfahrungen anderer zurückzugreifen. Es gibt gute soziale Netzwerke, in denen Eltern davon erzählen, wie sie und ihre Kinder diese Zeit erlebt haben.
Wie gehen Third Culture Kids mit den vielen Veränderungen um?
Der Schritt ins Ausland kann mit einer emotional schwierigen Phase einhergehen. Finde ich neue Freunde? Wird mir die neue Schule gefallen? Gerade in der Anfangszeit können sich Kinder, die nicht stressresistent sind, sehr unsicher fühlen.
Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?
Sie sollten ihnen Platz für ihre Gefühle lassen. Kinder dürfen traurig und wütend sein, denn so können sie ihre Emotionen am besten verarbeiten. In der Regel meistern sie alle Schwierigkeiten und empfinden die Zeit im Ausland als positive, sie bereichernde Erfahrung.
Weitere Informationen erhalten Sie auf ihrer Webseite: https://die-globale-familie.de/coaching-fuer-expat-partner-und-third-culture-kids/
Susanne Ak ist seit 2011 bei Global Assignments verantwortlich für die Themen Schule, Kindergarten und Krippe. Als Ansprechpartnerin für die internationalen HR-Kollegen und die mitausgereisten Familien liegen ihr eine gute Integration ins Gastland sowie eine gelungene Rückkehr aller Familienmitglieder besonders am Herzen. Als ehemalige Schulleiterin von britischen und internationalen Schulen in Großbritannien und in Berlin bringt sie eine umfangeiche Expertise zu internationalen Familienthemen mit.
Susanne Ak: „International bedeutet für mich global orientiert und multilingual zu sein, bereit, neue Herausforderungen anzunehmen und in andere Kulturen einzutauchen, um Neues zu lernen.
Third culture kids sind für mich die Kinder, die auf die Frage „Wo ist deine Heimat?“: „Ich bin in der Welt zu Hause!“ antworten. Es ergeben sich viele Vorteile durch die Mobilität von Familien, aber ich höre ganz genau hin, wenn relativ häufig Schulen und auch Kindergärten gewechselt wurden und keine langfristige, feste Heimatbasis besteht. Mein Eindruck ist jedoch, dass Kinder mit häufigen Ortswechseln in der Regel sehr gut umgehen können, wenn das Familienumfeld stabil ist.
Besonders häufig begegnen mir Fragen im Zusammenhang mit Kita- und Schulwechsel; da werden die Sorge um den Verlust des Freundeskreises, der Wechsel der Unterrichtssprache und das Nichtmitkommen im Unterricht genannt. Auch die Integration und die Reintegration sind oft angstbesetzt, wobei sich die Reintegration häufig schwieriger darstellt als die Integration. Und last but not least: Kinder, die im Heimatland bereits zusätzliche Förderung erhalten – werden sie diese Art von Förderung auch im Gastland bekommen können und werden ihre Schwächen verstärkt sein, wenn sie einen Schulwechsel durchlaufen müssen.
Für Familien, die für Volkswagen ins Ausland gehen oder aus dem Ausland nach Wolfsburg kommen bieten wir eine individuelle, intensive Schulberatung oder Fragen der Kindergartenbetreuung an. Dabei beziehen wir nach Möglichkeit die Kinder in die Beratung mit ein. Auch setzen wir interessierte Mitarbeiter mit Familien mit Kindern vor Ort im jeweiligen Gastland in Verbindung – unsere sogenannten „Botschaftereltern“. Wir unterstützen bei der Auswahl von geeigneten Schulen, bei vorbereitendem und begleitendem Unterricht und falls notwendig auch bei der Rückkehr. So übernimmt das Unternehmen z.B. bei Bedarf auch die Kosten für Fernschulmaterialien.
Meine Aufgabe ist es, die Familien im Lichte ihrer individuellen Umstände, ganz spezifisch bezogen auf das Alter der Kinder, das heimatliche Schulsystem und die Konsequenzen eines Schulwechsels, die Reintegration und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu beraten. Ich stelle sicher, dass Familien im Vorfeld ihrer Entsendung so viele Fragen wie möglich beantwortet bekommen, damit ihre Ängste und Sorgen (und auch die der Kinder) so klein wie möglich sind, bevor die Familie den Sprung ins Ausland wagt.
Für Expat-Familien und auch für die aus dem Ausland zurückkehrenden Familien bietet die Stadt Wolfsburg im Geschäftsbereich Schule eine Schulberatung an. Hier erfahren Eltern z.B. auch, an welchen Schulen Plätze zur Verfügung stehen. Es gibt neben dem ausführlichen Familienwegweiser der Stadt Wolfsburg auch den Familienservice, der Unterstützung bei der Suche nach Kitaplätzen bei Rückkehr aus dem Ausland bietet.“