Als Kind war Tilman Thiemig kleiner und schmächtiger als die anderen Jungs. Wenn es auf dem Schulhof darum ging, die Gruppe Buben in zwei Fußballmannschaften aufzuteilen, dann gehörte er zu den Letzten, die gewählt wurden. Schlechte Karten also, um bei den Mädels zu landen? Mitnichten. Denn sein geschliffenes Wort und die Gabe, seine blühende Fantasie in geistreichen Erzählungen zu Papier zu bringen, ließen ihn hoch im Kurs stehen. „Wenn ich dummes Zeugs geredet habe, fanden die Mädchen das immer ziemlich cool“, sagt Tilman Thiemig.
Literatur ist also sexy, auch die schwere Kost. „Bücher sind mein natürliches Habitat. Mit zehn Jahren habe ich mich durch Dostojewski gequält“, erzählt er lachend. Viel Gefallen findet er auch an seinem eigenen Werk: an den Krimis, die im Ostseebad Ahrenshoop auf dem Darß in Mecklenburg-Vorpommern spielen. Im Sommer erscheint nach Ahrenshooper Todholz und Ahrenshooper Narrenspiel der dritte Band des Autors, der in Vorsfelde lebt. Der Titel lautet: Ahrenshooper Spinnenweg. Protagonist ist wieder Robert Aaron Zimmermann, mit 90 Jahren sicher eine der ältesten tragenden Figuren des kriminalistischen Genres.
Auch verschrobene Kunstschaffende und das Museum des Verschwindens, das die Arbeiten von als vergessen geltenden Künstlern würdigt, sind wieder die Zutaten. „Vieles ist wahr und von mir recherchiert, einiges aber auch imaginiert“, sagt der 61-Jährige, der Dozent an der Volkshochschule Wolfsburg ist und hier Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Sein Buch, meint er, werden diejenigen gerne lesen, „die das Rätsel lieben und miteinander verwobene Erzählebenen mögen“.
Zur Geschichte der literarischen Schaffenskraft Tilman Thiemigs gehört, dass seine Werke lange Zeit bruchstückhaft blieben und er vieles begann und wenig beendete; und dass er einen schweren Schicksalsschlag erlitt, als sein Sohn zwanzigjährig verstarb. Erst als er seinen Urlaub in Ahrenshoop verbrachte, auf die Lebensgeschichte des dort über Nacht verschwundenen Landschaftsmalers Alfred Partikel stieß und von dessen ebenfalls mit zwanzig Jahren umgekommenen Sohn erfuhr, riss ihn diese erstaunliche Parallele aus seiner Traurigkeit. An diesem Moment entzündete sich erneut seine Leidenschaft für Literatur und Geschichten. „Ich beschloss, meinem Sohn ein Buch zu schreiben.“
Ahrenshoop, die vergessenen Künstler, das Museum des Verschwindens: Ein Stück weit ist Tilman Thiemigs Lesestoff von seiner eigenen Geschichte geprägt – und seine Bücher prägen ihn. „Das Schreiben ist ganz wichtig für mich“, betont er. „Es hilft mir, den Verlust meines Sohnes zu akzeptieren und nicht nur negative Gefühle mit seinem Tod zu verbinden. Meinem Sohn habe ich es zu verdanken, mit 60 Jahren meine ersten Bücher veröffentlicht zu haben.“
Stefan Boysen
Sehr spannend und verlockend !!
Der gestrige Abend in der “Remise” hat uns sehr gut gefallen.
Beste Grüße aus Wolfsburg nach Vorsfelde.
Ida&Dieter Langendörfer