Gestern war ich zu Besuch im Kunstmuseum Wolfsburg. Eigentlich wollte ich “Lisa’s Chicken” in der Ausstellung “Welten in Bewegung” durch die Luft fliegen lassen, doch dann war ich von Farben, Formen und Figuren in der Ausstellung von Firelei Báez so angezogen, dass ich die heliumbefüllten Hühner von Benedikte Bjerre, die ich schon beim Jubiläumswochenende des Museums mit meiner Tochter entdeckt hatte, warten ließ.
An der Kasse habe ich ein kleines Booklet mit Erklärungen zu den einzelnen Gemälden und Papierarbeiten in der Ausstellung erhalten. Deshalb hat Kuratorin Uta Ruhkamp mit ihrem Team alle Werke detailliert beschrieben.
Gleich in den ersten beiden Werken der Ausstellung begegnen mir rätselhafte Wesen und dann werde ich ganz und gar von der Arbeit “Enzyklopädie der Gesten” aus dem Jahr 2023 angezogen. Im Ausstellungsheft erfahre ich, dass es sich beim sogenannten Jeu de monde, dem Weltspiel, um eines der ersten geografischen Gesellschaftsspiele aus dem Jahre 1645 handelt mit dem Ziel, aus den äußeren Teilen der Welt in das französische Zentrum vorzudringen.
Im Prinzip ein Spiel, um geografische Kenntnisse zu vermitteln, aber es transportiert auch ein hierarchisiertes, eurozentrisches Weltbild, in dem der innere französische Kreis die größte Bedeutung hat. Dynamisch und bestimmt stört und überschreibt Firelei Báez mit ihrer farbenfrohen Figur diese Weltordnung, deren prachtvoll gefiedertes Haupt Frankreich als Bildmittelpunkt gezielt verdeckt.
Hinter der Wand von “Enzyklopädie der Gesten (Weltspiel)” erstreckt sich ein Raum mit weiteren großformatigen, aber auch vielen kleineren Arbeiten, die gemeinsam ein großes Werk ergeben.
Die Arbeit “Ohne Titel (Erinnerung wie Feuer ist strahlend unveränderlich)” besteht dabei aus alten Buchseiten, die von Firelei Báez mit verschiedenen Figuren und Formen übermalt sind. Mal greift die Künstlerin in die Porträts und Karten ein, mal zeichnet oder malt sie schlicht über diese hinweg. Mit dieser Art der Überarbeitung möchte die Künstlerin auf die Ausnutzung von Machtpositionen und jene Perspektiven hinweisen, die in der westlichen Geschichtsschreibung keine Beachtung finden.
Ich gehe weiter in den nächsten Raum und sehe Firelei Báez selbst bei der Arbeit. In einem Film erläutert sie, gekleidet in Malschürze und mit viel Farbe hantierend, die Entstehungspro-zesse ihrer Werke. Es ist inspirierend, ihr dabei zuzusehen und ist fast eine Einladung, selbst aktiv zu werden.
Eine Explosion in Pastell erwartet mich im nächsten Raum. “Kokett (Geschichte bestehend aus Brüchen)” von 2019 zeigt im Hintergrund die Bauzeichnung eines zentralen Kraftwerks aus New Orleans, USA, welches 1897 entstand. Sinnbildlich wird der Bauplan und damit das Kraftwerk von einem hellen Feuerwerk regelrecht gesprengt. Eine aktuelle und beeindruckende Arbeit.
Die letzte Werk der Ausstellung zeigt noch einmal eine Explosion aus den Farben Blau und Orange. Zu erkennen sind Pferde, die sich in die Wellen stür-zen. Die Karte, welche die Grundlage der Arbeit ist, ist kaum zu erkennen, aber sie zeigt wohl die Herzog- und Kurfürstentümer im Norden des Heiligen Römischen Reichs. Auch der Niedersächsische Reichskreis ist dabei. Sie wurde 1657 von dem Franzosen Nicolas Sanson (1600–1667) gezeich-net. Bis heute kann man Akteure der deutschen Kolonialgeschichte durch Gemälde, Skulpturen und andere Denkmäler in Museen und öffentlichen Räumen sehen. Hoch zu Ross sind sie häufig als Herrscher über Mensch und Natur dargestellt. Doch hier sind die Pferde nun ganz frei.
Was hier, wie in vielen anderen Werken, deutlich wird: wie wichtig es ist, sich mit der Geschichte zu befassen und aus ihr zu lernen. Die Arbeit wurde in den letzten Wochen speziell für das Kunstmuseum Wolfsburg angefertigt. Und mit dieser Herde springender Pferde endet mein Rundgang.
Ich bin noch immer beeindruckt von Farben, Fabelwesen, Federn und Früchten und von der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte, dem Rassismus und Genderfragen sowohl in Europa als auch weltweit.
Hanna L.
07/2024