Künstler KAYMAN erklärt sein neustes Wandbild
Wenige unterschiedliche Farben, starke Kontraste, bold (engl. kühn, mutig, frech) – so beschreibt Stencil Artist KAYMAN seine Kunst. Und seit neustem darf sich Wolfsburg dank ihm über ein weiteres Streetart-Kunstwerk freuen, das mit einer positiven Botschaft die Innenstadt verschönert und urbanen Flair in unsere Heimatstadt bringt. Künstler KAYMAN hat mir gezeigt, wie sein neustes Werk „Waste“ in der Porschestraße entstanden ist und was ihn als Künstler ausmacht.
Was ist Streetart und was macht ein Stencil Artist?
Unter Streetart versteht man die unterschiedlichsten Arten von Kunst im öffentlichen Raum. Das reicht von kleinen Plakaten, genannte Paste Ups, bis hin zu großflächigen Wandmalereien, den sogenannten Murals. Oft sind diese Kunstwerke unautorisiert angebracht worden. Mit der zunehmenden Begeisterung für die moderne Kunstform erhalten jedoch immer mehr Künstlerinnen und Künstler offiziell die Erlaubnis private Flächen, beispielsweise Hausfassaden, zu ihrer Leinwand zu machen. In großen Städten mit einer belebten Streetart-Szene ist diese sogar ein echter Touristen-Magnet.
Wer mit offenen Augen durch Wolfsburg geht, wird auch hier einige Kunstwerke entdecken. Natürlich gilt auch dabei die allseits bekannte Weisheit: Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Und während sich manch einer vielleicht noch fragt, wo hört Schmiererei auf und wo beginnt Kunst, sehe ich begeistert zu, wie KAYMAN auf einer ehemals tristen Fassade mit viel Geschick und Kunstfertigkeit in der Wolfsburger Innenstadt ein großflächiges Mural entstehen lässt. Dafür nutz er sogenannte Stencils. Das sind Schablonen, mit deren Hilfe die Motive auf die Wand aufgebracht werden. Der große Vorteil den der Künstler in dieser Technik sieht? So kann er seine Motive möglichst fotorealistisch darstellen.
Gewissermaßen ist das auch der Grund, warum KAYMAN heute überhaupt als Street Artist und Stencil-Künstler in Wolfsburg unterwegs ist. Denn ursprünglich kam KAYMAN aus der digitalen Ecke und hat mit Techniken wie Photoshop Band-Cover entworfen. Als er dann von einer Band gebeten wurde, das von ihm designte Logo auf ihren Trailer zu übertragen, galt es, sich einen Weg zu überlegen, wie das möglichst originalgetreu gelingen könnte und damit entstand KAYMANs erstes Stencil.
Der Mix aus abstraktem Graffiti im Hintergrunde und den detailgetreueren Schablonen-Motiven – das war immer das, was ich cool fand und was mir persönlich gefallen hat.
Diesen Technik-Mix nutz er auch bei seinem neusten Werk mit dem Titel „Waste“, dessen Entstehung ich live miterlebe. Auch wenn das sehr viel länger dauert, als manch einer vielleicht gedacht hätte. Noch bevor KAYMAN überhaupt die Sprühdose in die Hand nehmen kann, gibt es einiges zu erledigen.
KAYMANs Botschaft
Zu Anfang steht immer die Idee und der Ort, an dem ein Kunstwerk entstehen soll. Für die Hausfassade die KAYMAN in der Porschestraße gestalten darf, war ihm schnell klar, welches Motiv zukünftig die Wand zieren soll. In seinen Werken möchte der Künstler gesellschaftliche Themen aufgreifen, die ihn auch privat beschäftigen, und damit zum Denken anregen oder den Menschen einfach einen glücklichen Augenblick schenken. Auch wenn es mal um ernstere Thematiken geht, der ästhetisch-künstlerische Anspruch und die Leichtigkeit dürfen nicht fehlen. Das schafft KAYMAN, indem er seine Botschaft – ob fröhlich oder ernst – mit einem Augenzwinkern rüberbringt.
Das darf nicht zu schwer sein. Meine Kunst soll leicht rüberkommen.
Mit dem neuen Projekt möchte er eine rein positive Botschaft senden. Das Design für „Waste“ entstand vor einigen Jahren während der Corona-Pandemie – einer Zeit, die mit sich überlagernden Krisen für viele Menschen schwer war, erklärt der Künstler. Damals wurde ihm bewusst, dass man die Zeit, die man mit Menschen, die man liebt, hat, nicht einschränken, sondern einfach genießen sollte. Das Mural ruft in diesem Sinne dazu auf, mit positiven Emotionen dieser gemeinsamen Zeit, nicht sparsam, sondern gewissermaßen verschwenderisch umzugehen. Die schwarzen Silhouetten der Eltern, die mit ihren kleinen Kindern gemeinsam zu am Himmel schwebenden, roten Heißluftballons hinaufschauen, symbolisieren die positiven Gefühle der Liebe und der menschlichen Bindung. Der mehrfach wiederholte, schwarze Schriftzug „Waste Time. Waste Love. Waste Happiness. Waste Vasopressin.“ verdeutlich diese Botschaft.
Vorbereitung an der Wand
Bevor das Motiv aber auf der Wand entsteht, verbringt KAYMAN erstmal einen ganzen Tag damit, die Wand vorzubereiten. Zuerst einmal muss sie gesäubert werden. Dreck, Aufkleber, loser Putz und Kaugummis müssen verschwinden. Das ist harte Arbeit. Wie körperlich anstrengen das sei, habe er dieses Mal unterschätzt, gesteht der Künstler. Dann wird die Fläche grundiert und mit weißer Farbe gestrichen. Und das gleich zwei Mal. Breits jetzt schauen viele Passantinnen und Passanten, was hier geschieht, doch noch ist nicht viel zu sehen.
Erst als der Hintergrund vollständig vorbereitet ist und über Nacht Zeit hatte zu trocknen, geht es an die Sprühdosen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Mit der Wasserwage und einem kritischen Blick positioniert KAYMAN die Schablone mit dem Schriftzug auf der Wand. Justiert noch einmal nach. Und noch einmal, bevor er sie mit Klebband auf der Fassade fixiert. Bevor er vorsichtig mit schwarzer Sprühfarbe über die Schablone sprüht, setzt er noch eine Atemschutzmaske auf. Denn auch im Freien sind die Gase, die während des Sprühens aus der Dose austreten, bei so nahem und langem Kontakt schlecht für die Atemwege. Und es sieht auch cooler aus, oder?
Das Sprühen startet
Genau so viel Fingerspitzengefühl wie zum richtigen Anbringen der Schablonen beweist KAYMAN auch beim Sprühen. Denn dabei gibt es einiges zu beachten. Beispielsweise muss die Schablone direkt an der Wand anliegen, damit das Motiv formgenau übertragen wird. KAYMANs Geheimtipp: Mit Essstäbchen drückt der die Schablone, an den Stellen, an denen er gerade sprüht, an die Wand. So wird das Motiv ist sauber aufgetragen und die Finger bleiben sauber, zumindest halbwegs.
Diesen und andere Tricks und Kniffe hat der Künstler über die Jahre gelernt. In seiner Laufbahn als Urban Art-Künstler hat er nicht nur mit verschiedenen Stielrichtungen experimentiert, sondern auch seine Technik verfeinert und viel über die Werkzeuge und Materialein, die er heute verwendet, gelernt. Sei es über das Erstellen von Schablonen, die Frage, welche Grundierung und Farbe am besten auf welcher Oberfläche hält, oder wie man für saubere Sprühkanten mit den Schablonen und der Sprühdose umgehen muss.
KAYMAN ist froh, dass an diesen zweieinhalb Tagen, die er an dem Mural arbeitet, gutes Wetter ist. Denn das Wetter sei die größte Herausforderung bei seiner Arbeit, verrät er mir. Regen und vor allem Wind seien das schlimmste, was passieren könne. Nicht nur der Umgang mit den großen Schablonen aus Pape sei dann schwierig. Auch würde die Farbe aus der Sprühdose an Stellen geweht werden, an die sie nicht hingehöre.
Was bewirkt das Mural?
Inzwischen nimmt das Kunstwerk langsam Form an. Und je mehr man erkennt, desto mehr neugierigen Blicke von Passantinnen und Passanten zieht das Mural an. Einige bleiben stehen, schauen KAYMAN bei der Arbeit zu und geben dem Künstler sogar Feedback.
Das fällt zu 99% positiv aus, wie er sagt. Viele freuen sich, dass auf den zuvor wenig ansehnlichen Wänden nun etwas Schönes zu sehen ist.
Hier wurde Kunst geschaffen, mit der ein urbanes Flair entsteht, das man in modernen Großstädten in den florierenden Stadtteilen mit viel Streetart findet. Das gibt es nicht in Dörfern oder Kleinstädten.
Nicht nur die Botschaft des Murals, sondern auch was für einen Effekt die Wandgestaltung für die Umgebung hat, war ein Aspekt, dem KAYMAN sich bei der Auswahl des Motivs gewidmet hat. Durch den hohen Weißanteil wirkt die ehemals eher dunkle Ecke nun hell und freundlich.
Auch die schwarzen Schriftzüge sind nicht nur eine künstlerische Entscheidung. Denn im Vorfeld stellte sich der Künstler auch die Frage: Wie verhindere ich, dass die Fläche bald wieder so aussieht wie vorher? „Die viele kleine Schrift ist dort so großflächig entstanden, weil es für Leute, die beispielsweise einfach nur einen Edding dabeihaben, keinen Sinn macht, etwas an die Wand zu schreiben“, erklärt KAYMAN. „Warum? Weil man es ja eigentlich gar nicht sehen würde.“ Außerdem werden gemusterte Flächen seltener Opfer von Vandalismus. Das Prinzip kennt man beispielsweise von den wild gemusterten Sitzen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder den mit Motivfolie beklebten Fenstern von S‑Bahnen. So bringen Murals also nachhaltig urbanes Flair und Kunst für jeden sichtbar in den öffentlichen Raum und sind eine Maßnahme gegen langweilige, triste, graue und eventuell verschmutzte Wände.
KAYMANs Tipp
Herkömmliche Graffitis mit einem hohen Schriftanteil werden von vielen als nicht besonders ästhetisch wahrgenommen, erklärt KAYMAN. Daher sein Rat für jeden, der sich an diese Kunstrichtung heranwagen möchte: Zeichne zuhause. Sprüh nur auf legalen Flächen oder Unterlagen wie Leinwänden oder Holzplatten. Und wenn du deine Kunst zeigen möchtest, poste es online und sei stolz darauf.
Nach zweieinhalb Tagen intensiver Arbeit an der Wand nimmt KAYMAN nun zum letzten Mal die Sprühdose in die Hand und setzt seinen Namen unter das Mural. Von nun an erfreuen sich hoffentlich viele an diesem Stück Kunst in der Porschestraße, das nicht nur dazu aufruft, Zeit mit geliebten Menschen zu verbringen, sondern Wolfsburg auch ein bisschen Großstadt-Charm gibt.
Antonia Müller
10/2024
Beitragsbild: © KAYMAN
Weitere Bilder: © WMG