Kunst­mu­seum Wolfsburg

25 Jahre Malen und Zahlen

Jubiläen sind stets Anlässe für Lobes­hymnen. Doch fast nie lässt man ausschließ­lich die Zahlen für sich sprechen. Das tut Dein Wolfsburg anläss­lich eines Viertel­jahr­hun­derts Kunst­mu­seum Wolfsburg.

Doch wie beginnen? Ja, wie wird man überhaupt einem Kunst­mu­seum mit Zahlen gerecht? Wie können gefühl­lose Ziffern das Schöne und Schockie­rende, das Inspi­rie­rende und Aufrüt­telnde wieder­geben, das dort gezeigt wird? Wohl kaum, indem man die Geometrie bemüht; indem man das Maßband am Fundament anlegt und so eine Gesamt­fläche von 8.510 Quadrat­me­tern ermittelt, die Gebäu­de­höhe von 17 Metern misst und die Ausmaße des Glasdachs mit 3.200 Quadrat­me­tern bestimmt.

Und doch beschreibt diese erste Annähe­rung genau das, was die Wolfs­burger vor 25 Jahren zunächst gesehen haben: einen unauf­ge­regten, recht­eckigen Bau aus Säulen, Glas und Stahl, der von nun an den Südkopf dominiert, dessen Zukunft indes ungewiss scheint. Denn ein Kunst­mu­seum in Wolfsburg, das ist ein Wagnis; das ist nur möglich, weil Idealisten – nein: Visionäre – wie der ehemalige Volks­wagen-Vorstands­vor­sit­zende Carl H. Hahn von seinem Erfolg überzeugt sind, während andere fest an ein Scheitern glauben.

Wer Recht behalten hat – auch darauf liefern die Zahlen eine Antwort. Es sind aller­dings nicht nur die schieren Leistungs­in­di­ka­toren wie die rund 1.500.000 Besucher seit Eröffnung im Mai 1994 – übrigens mit der Ausstel­lung „Le rythme de la vie moderne“, die das Frühwerk Fernand Léger zeigte und zugleich eine Positi­ons­be­stim­mung war: Das Kunst­mu­seum Wolfsburg ist der Kunst der Moderne gewidmet. Dieser Glaubens­satz ist bis heute unange­tastet, liegt der Konzep­tion jeder der bis dato 136 Ausstel­lungen zugrunde.

Gerade in dieser thema­ti­schen Fokus­sie­rung breiteten die bislang 4 Direk­toren des Hauses, unter­stützt von durch­schnitt­lich 46 Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­bei­tern, eine Vielfalt der Genres, der Schaf­fenden, der Œuvres aus: Von Gilbert und George bis Jörg Immendorff, von Andy Warhol bis Neo Rauch, von Robert Lebeck bis Roy Lichten­stein wurden mal monogra­fisch, mal histo­risch, mal thema­tisch mehrere 100 Künstler und ihr Schaffen vorge­stellt; Christian Boltanski lieferte dem Kunst­mu­seum mit seiner aus 1.300 Fotogra­fien bestehenden Arbeit „Mensch­lich“ das bisher größte Kunstwerk; kleinste Arbeit der Sammlung ist ein Gemälde von Elizabeth Peyton, die ihren Künst­ler­kol­legen David Hockney auf 25 mal 18 Zenti­me­tern in Öl verewigte; die Fotografie „Passerby“ von Jeff Wall bringt mit 374 Kilogramm am meisten auf die Waage. Die drei letzt­ge­nannten Werke sind in der aktuellen Ausstel­lung zu sehen.

Unbestrit­tener Super­lativ aber bleibt „Bridget’s Bardo“: James Turrell schuf mit seiner Raum-in-Raum-Konstruk­tion mit 700 Quadrat­me­tern Grund­fläche und 11 Metern Höhe nicht bloß seine bisher größte begehbare Licht­in­stal­la­tion; mit 98.000 Besuchern ist diese Ausstel­lung obendrein die meist­ge­se­hene im Kunst­mu­seum Wolfsburg. Und auch bei der Bauzeit ist „Bridget’s Bardo“ spitze: Fast 6 Wochen dauerte es, den weißen, kanten­losen Korpus zu errichten – für den Einbau der Licht­in­stal­la­tion an sich benötigte James Turrell dagegen gerade einmal 2 Tage. Genau anders­herum war es bei den fragilen Skulp­turen von Alberto Giaco­metti: Erst nach 3 Wochen hochsen­si­bler Milli­me­ter­ar­beit standen die Werke an Ort und Stelle – und dennoch wie geplant auf den Tag genau.

Denn Verschie­bungen sind im Kunst­mu­seum Wolfsburg schlicht unmöglich: Die Einla­dungen zur Vernis­sage, der feier­li­chen Ausstel­lungs­er­öff­nung, gehen bereits Wochen vorher an mehr als 15.000 Adressen. Das Marketing läuft ebenfalls lange vor dem eigent­li­chen Start an: Pro Ausstel­lung werden bis zu 3.000 Kataloge und bis zu 40.000 Werbe­druck­sa­chen produ­ziert. Die beglei­tende Presse­ar­beit erreicht nationale wie inter­na­tio­nale Medien – und die berichten so umfang­reich, dass der Stapel an Zeitungs­ar­ti­keln mittler­weile mehr als 7 Meter hoch ist.

Auf diese Weise ist das Kunst­mu­seum Wolfsburg längst Menschen in aller Welt ein Begriff: Besucher kommen aus Frank­reich und Italien, China und Japan, Argen­ti­nien und Kanada; übrigens nicht nur um Kunst, sondern auch um kulina­risch zu genießen. Als festen Bestand­teil seines Begleit­pro­gramms gibt es „Eat and Art“ mit Ausstel­lungs­füh­rung und 3-Gänge-Menü. Und während der Ausstel­lung „Fichte“ von Erwin Wurm machte der vom Künstler gestal­tete „Curry Bus“ am Holler­platz halt: Mehr als 5.000 Würste gingen von März bis September 2015 über die Verkaufstheke.

Derlei Greif­bares ist ebenso Marken­kern des Kunst­mu­seums. Denn das Konzept der Themen­aus­stel­lungen macht Werke erleb­barer, verständ­li­cher – das Autokino in „Wolfsburg Unlimited“ oder die faszi­nie­renden, begeh­baren Szenarien von Hans op de Beeck in „Out ot the Ordinary“ unter­strei­chen diesen Anspruch. Mit seinem bewussten Verzicht auf die angestaubte Distan­ziert­heit zwischen Werk und Besucher wird das Kunst­mu­seum auch in den kommenden 25 Jahren Erfolgs­ge­schichte schreiben und keinen Tag dabei altern.

In diesem Sinne: Happy Birthday – und bleib, wie du bist!

Alexander Kales

DEIN WOLFSBURG, 2019

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