Ein Besuch beim Reit- und Fahrverein Wolfsburg e.V.
Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde – zumindest in Wolfsburg und das nun schon seit 100 Jahren.
Mitten in der Stadt, nahe dem Wolfsburger Schloss, befindet sich der Reit- und Fahrverein Wolfsburg e. V.. Hier, zwischen Stallungen, Reitplätzen und Wiesen, kommt es einem fast ländlich vor, nicht so als würden einige Meter weiter auf der Schulenburgallee die Autos im morgendlichen Verkehr vorbei rasen. Als mich die Vorstandsvorsitzende des Vereins, Mirka Blischke, an diesem Morgen vor der Reithalle empfängt, hängt noch tiefer Nebel über dem Gelände, doch auf dem Reiterhof ist schon ordentlich Betrieb, denn es gibt einiges zu tun.
„Wir haben hier mehrere Ställe, zwei Reithallen, einen Longier-Zirkel, sechs Reitplätze, einen Springplatz, mehrere Paddocks – also graslose Auslaufflächen – und Weiden“, berichtet Frau Blischke. Allein die Weiden seien mehrere Hektar groß. „Aktuell haben wir 50 Pferde – 25 Privatpferde, die wir in unseren Pensionsboxen versorgen, und 25 Pferde für den Reitschulbetrieb“, erklärt die Vorstandsvorsitzende. Ein Reitschulbetrieb in dieser Größenordnung sei in der Region einzigartige. „Die meisten Reitvereine haben nur eine Handvoll Schulpferde,“ erklärt Frau Blischke.
Der Kontakt mit den Pferden beginnt auf dem Hof schon in frühem Alter. Im Ponyclub lernen Kinder ab 4 Jahren alles, was es im Umgang mit den großen Tieren zu wissen gibt, bevor es dann aufs Pferd geht.
Der Ponyclub ist auch der Grund, warum Frau Blischke heute Teil des Vereins ist. Ihre Tochter wollte Reiten lernen, also meldete sie sie im März 2020 zum Club an. Wenige Wochen später kam der erste Corona bedingte Lockdown, der Reitbetrieb musste eingestellt werden und der damalige Vorstand trat zurück. In diesen schwierigen Zeiten wollte Frau Blischke den Verein unterstützen und bot ihre Hilfe an.
Und plötzlich unterstütze sie nicht nur, sondern war Vorstandsvorsitzende noch bevor ihre Tochter das erstmal geritten war. Nun leitet sie seit 2020, zusammen mit den anderen Vorstandsmitgliedern, erfolgreich den Verein.
Für alle Reiterinnen und Reiter gibt es aufbauend auf dem Ponycub weiter Klassen, die den verschiedenen Reitniveaus entsprechen – von Führzügel- und Longier-Stunden bis hin zu Einzel- und Gruppenstunden in Dressur und Springen. So finden hier wöchentlich bis zu 80 Reitstunden für erfahrene Reiter und Neueinsteiger jeden Alters statt. Dank der Qualifikation der Pferdewirtschaftsmeiserin Alexandra Stübig gibt es sogar Reitunterricht bis Grand Prix-Niveau. Die Reitlehrerin ritt selber erfolgreich Grand Prix und erhielt durch ihre zahlreichen Turniersiege sogar das Goldene Reitabzeichen.
Auch außerhalb der regulären Reitstunden gibt es auf dem Hof des Reit- und Fahrvereins einiges zu erleben, verrät mir Frau Blischke bei einem Spaziergang über den Hof vorbei an Reitplätzen und Ställen, von denen manche früher zur Anlage des Wolfsburger Schlosses gehörten. Regelmäßig gibt es Reitabzeichenlehrgänge und Seminare mit externen Trainern. So war 2023 beispielweise der Pferdetrainer Bernd Hackl, der unter anderem aus der Fernsehserie „Die Pferdeprofis“ bekannt ist, auf dem Hof zu Gast.
In den Sommerferien dreht sich beim Sommercamp für Kinder eine Woche lang alles um Spiel und Spaß, aber auch Wissenswertes rund ums Pferd. Da heißt es: Ponys putzen, führen, schmusen und natürlich auch reiten!
Wer sich nicht selber in den Sattel traut, sich den Reitsport aber trotzdem mal von nahmen anschauen will, kann beim jährlich stattfindenden „Wolfsburger Klassiker“ Turnierluft schnuppern. Zu dem renommierten Dressur- und Springturnier kommen Reiterinnen und Reiter aus ganz Deutschland, um in unterschiedlichen Disziplinen verschiedener Anforderungsniveaus zu zeigen, was sie und ihre Pferde gemeinsam können. Und das kann sich ganz schön sehen lassen, denn der Verein schreibt das Turnier bis Klasse S*** aus. Im deutschen Reitsport ist Klasse S von insgesamt fünf Prüfungsklasse die schwierigste. Innerhalb der einzelnen Klassen geben die Sterne weitere Schwierigkeitsgrade an.
Ausschreibungen auf internationalem Anforderungsniveau haben in Wolfsburg quasi schon Tradition, denn der Verein blickt auf eine lange Geschichte nationaler sowie internationaler Turniere zurück. In der Vergangenheit hielten hier bekannte Größen des Reitsports wie Fritz Thiedemann, nach dem eine der Reithallen benannt ist, Liselott Linsenhoff oder Franke Sloothaak, der auch 1996 beim letzten internationalen Turnier des Reit- und Fahrvereins dabei war, die Zügel in der Hand.
Seit den 1990er Jahren steht verstärkt die Förderung des Reiternachwuchs im Fokus. Vielerorts wird Reitschulbetrieb nur in kleinerem Umfang angeboten. Auch wenn Reiten nach wie vor eher zu den teuren Sportarten gehört, haben beim Reit- und Fahrverein Wolfsburg dank der 25 Schulpferde eine große Anzahl an Interessierten die Möglichkeit, den Umgang mit den Tieren und das Reiten zu erlernen. Was den Verein darüber hinaus besonders macht, ist wohl seine Lage. Ungewöhnlich für einen Reiterhof, besonders in dieser Größe, liegt das Gelände mitten in Wolfsburg und ist so auch für Menschen aus der Stadt gut zu erreichen.
„Uns ist auch wichtig, dass die Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, an Turnieren teilzunehmen“, erzählt Frau Blischke. „Das ist eine besondere Herausforderung für uns, aber sonst kommen Kinder ohne eigenes Pferd niemals in den Genuss des Turniersports beim Reiten.“ Denn die Vorbereitungen und die Anreise zum Turnier sind mit viel Organisation und Kosten verbunden. „Wir rücken dann teilweise mit zehn Pferden und zwanzig Kindern an,“ berichtet Frau Blischke schmunzelnd.
Das dabei von den 320 Mitgliedern, die der Verein aktuell zählt, der Großteil Mädchen und Frauen jeden Alters sind, dürfte wohl niemanden wundern. Das war 1924, als der Verein gegründet wurde, noch anders.
Am 18. Februar 1924 saßen im Fallersleber Schützenhaus einige Reitbegeisterte zusammen und beschlossen nach ausgiebiger Debatte die Gründung eines Reitvereins. Einer der Anwesenden prophezeite: „Wenn wir alle zusammen helfen, haben wir bald den schönsten Reitplatz. Wir werden Turniere veranstalten und zu fremden Turnieren reiten.“ Und er sollte Recht behalten. In den 1950er Jahren richtete sich das Vereinsleben immer mehr nach Wolfsburg aus, so dass der Verein schließlich seinen Standort verlegte und sich in „Reit- und Fahrverein Wolfsburg (Traditionsverein Fallersleben und Hasenwinkel) e. V.“ umbenannte. In den viele Jahren seit seiner Gründung waren zahlreiche bekannte Wolfsburger Teil und Unterstützer des Vereins, beispielsweise Carl H. Hahn.
Und da man nur einmal 100-jähriges Jubiläum hat, feiert der Reit- und Fahrverein Wolfsburg das nicht nur mit dem „Wolfsburger Klassiker“ und der Regionsmeisterschaft Pferdesportregion Aller-Oker vom 30. Mai bis 2. Juni 2024, sondern veranstaltet am 8. Juni 2024 ein buntes Familienfest. Alle Besucherinnen und Besucher können sich an dem Tag auf Gastronomiestände, Kinderangebote, Show-Programm und eine abends stattfinden Party freuen. Alle wichtigen Informationen zur 100-Jahr-Feier findest du unter wolfsburgerleben.de.
Und wen nun wie mich das Reitfieber gepackt hat, findet unter www.ruf-wolfsburg.de alle Details über den Verein, das Angebot und die Mitgliedschaft.
Antonia Müller
03/2024
Titelbild: © Reit- und Fahrverein Wolfsburg e. V.