Aber warum eigentlich Scharoun?
Am 5. Oktober feiert Wolfsburg ein großes Jubiläum: das 50jährige Bestehen des Scharoun Theaters. 1973 hatte die Prominenz der Stadt das neue Gebäude mit einer Aufführung des Schauspiels „Nora“ von Henrik Ibsen eingeweiht, damals unter dem schlichten Namen Theater Wolfsburg.
Erst seit 2017, nach vierzig Spielzeiten und der erfolgreichen Generalsanierung des Hauses, trägt die Institutionen den Namen seines Architekten Hans Scharoun – ein stolzes Bekenntnis zu den räumlichen Qualitäten, die in der Sanierung ganz vorsichtig wieder herausgearbeitet wurden: das lang gestreckte Foyer, das man zu Beginn des Abends durchschreitet mit einem Blick zurück auf die südliche Innenstadt, die Nähe der Zuschauer zur Bühne und die daraus folgende Präsenz der Künstler im Zuschauerraum und nicht zuletzt die herausragende Akustik.
Das wer war eigentlich dieser Hans Scharoun, den Wolfsburg hier ehrt? Und wie kam er 1965 in die noch junge Volkswagenstadt, die damals erst 80.000 Einwohner hatte?
Baumeister Bernhard Hans Henry Scharoun
Als Autodidakt hatte es der junge Bernhard Hans Henry Scharoun, der 1893 in Bremen geboren wurde, in wenigen Jahrzehnten in den Kreis der großen deutschen Baumeister der Nachkriegszeit geschafft. 1919 gewann der 26jährige Neuling überraschend seinen ersten Architekturwettbewerb, nachdem er das 1912 begonnene Architekturstudium durch den Ersten Weltkrieg unterbrechen musste und es nie zu Ende führte. Ohne Studienabschluss übernahm er schon Mitte der 1920er Jahre später eine Professur in Breslau und machte sich schnell einen Namen, unter anderem mit zwei experimentellen Projekten für die Bauausstellungen am Stuttgarter Weißenhof und Breslau.
1945 wurde er von der sowjetischen Militärregierung zum Stadtbaurat für Berlin ernannt und verantwortete die erste Planung für den Wiederaufbau der zerstörten Stadt. Wenige Monate später übernahm er den Lehrstuhl für Städtebau an der Technischen Universität Berlin. Von 1955 bis 1968 leitete er zudem die Akademie der Künste in Berlin als Präsident.
In Berlin lag Scharouns Lebensmittelpunkt – bezeichnenderweise nicht in einer großen Villa, sondern in einer Kleinwohnung in einer Wohnzeile der Siemensstadt, die er um 1930 entworfen hatte und bis 1960 selbst bewohnte. Hier wurde 1963 auch sein Hauptwerk fertiggestellt: die Philharmonie, erster Baustein des neuen Kulturforums am Tiergarten, die heute in direkter Nachbarschaft zu Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie (1964/65) liegt.
Der künstlerische Leiter Herbert von Karajan dirigierte Beethovens „Neunte“ zur Eröffnung. Das Raumkonzept der Konzerthalle mit ihrer mittigen Bühne und den terrassenförmig angeordneten Zuschauerrängen revolutioniert den Kulturbau. Noch ein halbes Jahrhundert später sollte die mutige Idee, die Generationen von Architekten beeinflusste, Neubauten wie die Elbphilharmonie in Hamburg prägen.
Der 70jährige, den DER SPIEGEL zur Eröffnung der Philharmonie als „bulligen, wortkargen Nachtarbeiter und Nichturlauber“ bezeichnete, war auf dem Höhepunkt seines Schaffens. So verwundert es nicht, dass er 1965 zum Architekturwettbewerb für ein Theater in Wolfsburg eingeladen wurde, den er gegen sechs sehr renommierte Büros gewann. Manches, was Scharoun erdacht hatte – ein Café auf dem Dach, die Waldbühne in Richtung Klieversberg und eine Wasserfläche vor dem Theater am Wiesenhang – fiel den Sparzwängen der ersten großen Wirtschaftskrise der Bundesrepublik zum Opfer.
Doch ab 1969 durfte er bauen und seinem sehr vielfältigen Gesamtwerk zuletzt noch ein einziges realisiertes Theater beifügen, das man auch als „kleine Schwester“ der Berliner Philharmonie bezeichnen könnte. Am 25. November 1972 starb Hans Scharoun. 10 Monate später feierten die Wolfsburger die Fertigstellung seines Werkes. Und sie erinnern sich fünfzig Jahre später gern an den Beginn einer neuen Ära im Kulturleben der Stadt.
Nicole Froberg
11/2023
Hier geht es zur Website des Scharoun Theaters
Beitragsbild: Licht- und Akustikdecke des Zuschauersaals. Foto: Lars Landmann