Christoph Heuer und Justin Hoffmann vom Kunstverein Wolfsburg

Auf zur „Vierten Schicht“ ins Schloss Wolfsburg

Sie erwarten mich schon, als ich durch den ehrwür­digen Schlosshof kommend, vorbei an Ausstel­lungs­pla­katen, die steinernen Stufen zum Kunst­verein Wolfsburg erklimme. Seit 1968 im Schloss Wolfsburg ansässig, nutzt der Kunst­verein Wolfsburg hier rund 700 Quadrat­meter für seine Ausstel­lungen. Aber nicht nur. Hier passiert noch mehr. Deshalb bin ich mit dem Leiter des Kunst­ver­eins Dr. Justin Hoffmann und Christian Heuer, einem der Vorstands­mit­glieder des Vereins, verab­redet, um etwas über das Format der „Vierten Schicht“ zu erfahren.

Ein „Raum für Freunde“

Schrank­wand als Skulptur. Foto: Bärbel Mäkeler

Meine Gesprächs­partner führen mich zu einer DDR-Schrank­wand aus den Sechzi­gern, die, ausein­an­der­ge­baut und wieder neu zusam­men­ge­stellt, wie ein eigenes Kunstwerk wirkt. Diese Landschaft aus indus­triell gefer­tigten Möbeln fügt sich zu einem kubigen Theken­ar­ran­ge­ment. Die Berliner Künst­lerin Inken Reinert entwarf extra für diesen Raum eine Synthese aus Skulptur und Instal­la­tion. Heraus kam ein ‒ auf den ersten Blick impro­vi­siert wirkender ‒ Barbereich.

Hierin integrieren sich eine Lese-Lounge mit Büchern, der Musik­be­reich mit Platten­spieler samt LPs und eben ein echter Theken­raum – und bildet damit den kommu­ni­ka­tiven Bereich des Kunst­ver­eins. Stühle, Barhocker und Kisten stehen für Gäste, oder besser, Freunde bereit.

Die stylische Barkon­struk­tion folgt natürlich einer Absicht, sie hat eine Funktion und einen program­ma­ti­schen Namen: „Raum für Freunde“. Letztere sind Menschen aus vertrauten Netzwerken, Social Media oder Reprä­sen­tanten für spezielle Themen. Und hier findet auch die „Vierte Schicht“ statt, eine Veran­stal­tungs­reihe des Kunst­ver­eins Wolfsburg, die 2022 ins Leben gerufen wurde.

After-Work-Party mit Folgen

Drei Stühle stehen schon für unser Gespräch bereit, sodass ich gleich mit der ersten Frage einsteigen kann: Wie kam es denn zur Idee dieses Formats? Ich erfahre von Justin Hoffmann, dass einer der Vorläufer eine Veran­stal­tung in der „City Gallery“ im Alvar-Aalto-Kultur­haus war. 

In diesem inner­städ­ti­schen Raum, den der Kunst­verein bespielte, fand allwö­chent­lich die Donners­tags-Bar statt. „Das war für uns inter­es­sant, weil es damit jenseits eines etablierten Ausstel­lungs­ortes eine Veran­stal­tungs­reihe gab, die auf nieder­schwel­liger Ebene ganz andere Personen erreicht hat, als sie sonst bei normalen Kunst­aus­stel­lungen anzutreffen sind.“ Eine Art After-Work-Party für Werks­an­ge­hö­rige also, ergänzt Heuer. Die Abende waren jeweils mit einem Thema angerei­chert, z. B. dem Autopro­duk­ti­ons­standort Detroit oder mit der Möglich­keit, doch mal ein eigenes Kunstwerk mitzu­bringen, um darüber zu sprechen. 

Nach der Schlie­ßung der City Gallery durch die Stadt Wolfsburg hielt sich der Gedanke der Bar als Kommu­ni­ka­ti­onsort und führte in den Verein, also ins Schloss, zurück – und damit zwar aus der Innen­stadt heraus, aber weiterhin an die Bar.

Talk am Tresen

Die Idee zum Format der „Vierten Schicht“ war geboren: Theken­ge­spräche über Kunst und Kultur in der Stadt Wolfsburg, die bekannt­lich durch ein 3‑Schichten-System geprägt ist. Die Erfah­rungen aus der Donners­tags-Bar übertrugen die Macher in ihr Konzept und luden nun besondere Menschen aus dem kultu­rellen Umfeld zum Theken­talk ein.

Rund zehn Male besuchten inzwi­schen unter­schied­lichste Gäste, die in lockerer Atmosphäre bei passender Deko, Getränken, Häppchen und Platten­tel­ler­sounds zusam­men­kamen, den „Raum für Freunde“ im Schloss. Ganz wie bei Ina Müller in „Inas Nacht“, die ihre Gäste auch hinter die Theke holt und so dem Publikum vor dem Tresen ganz zwanglos Fragen ermög­licht. Dabei ist der Begriff „kultu­relles Umfeld“ weit gefasst: In den vergan­genen „Vierten Schichten“ drehten sich die Tresen­ge­spräche beispiels­weise um Weinge­nuss, Backkultur oder automo­bile Träume – kurzum Lebenskultur. 

Kühle Drinks und coole Gesprächs­partner ergeben eine spannende Mischung zusammen mit den jewei­ligen Themen, die die Einge­la­denen im Gepäck haben. Dabei wird schon mal ein Kurzfilm gezeigt, eine kleine Lesung gehalten oder Wein verkostet. Vom Team vorbe­rei­tete Visuals ergänzen die Gäste­prä­sen­ta­tion. Zum Konzept gehört auch, erzählt Justin Hoffmann, dass die Gäste nach ihren Musik­vor­lieben gefragt werden. Was thema­tisch passt, beispiels­weise Coffee-Songs zur Kaffee­kultur oder Fiftys-Schlager zum Vespa-Treffen, wird in indivi­du­elle Playlists gepackt.

Und wie steht es um das Publikum? Wer kommt und wie viele, will ich wissen. Christian Heuer schätzt, dass um die 30 Inter­es­sierte je Veran­stal­tung den Weg ins Schloss finden. Auf die Frage hin, ob denn immer dieselben Menschen zu Gast seien, verneint Justin Hoffmann: „Es kommen jedes Mal andere Leute, es hängt sehr von der Person ab, die wir einladen.“

Wichtig ist dem Organi­sa­ti­ons­quar­tett, welches neben meinen Gesprächs­part­nern aus Maren Risch und Thomas Koprucki besteht, dass die Menschen nach der Veran­stal­tung noch bleiben, mitein­ander reden, dem Geträn­ke­an­gebot frönen, sprich, dass der sozialer Ort der Bar genutzt wird. Eben wie in einer imagi­nären vierten Schicht, in der man nicht nur an die Arbeit denkt, sondern es sich gut gehen lässt. Und immer wieder passiere es, freuen sich die Organi­sa­toren, dass auch Auswär­tige oder Heimge­kehrte hier neue Kontakte knüpfen.

Jeder der vier Initia­toren ist rotierend für eine „Vierte Schicht“ haupt­ver­ant­wort­lich, bereitet das Interview vor und kümmert sich um den Ablauf des Abends. Die anderen übernehmen Aufgaben wie Einla­dungen, Presse­mit­tei­lungen oder die visuelle Gestal­tung des Abends.

Der Kunst­verein Wolfsburg

Spätes­tens, wenn man eine „Vierte Schicht“ besucht hat, kommt man ‒ ganz nebenbei ‒ in Kontakt mit dem Programm des Kunst­ver­eins Wolfsburg. Dieser existiert schon seit 1959 und widmet sich haupt­säch­lich Ausstel­lungen mit aktuellen gesell­schaft­li­chen Themen wie zurzeit der Digital Art oder dem brennenden Thema Kolonialismus. 

Der Fokus des Programms liegt auf der Kunst der jungen Genera­tion, deren Arbeiten relevante Antworten zu Fragen des Jetzt liefern. Jedes Jahr wird ein Thema nach den Kriterien sozialer Wichtig­keit und Aktua­lität bestimmt, das den inhalt­li­chen Rahmen für die Projekte der nächsten zwölf Monate liefert. 

Mit der Auswahl der Künstler verbindet die Kuration außerdem regionale und überre­gio­nale Überle­gungen. Das Event der „Vierten Schicht“ ist ein Teil davon, der die Brücke der Alltags­kultur zum weiten Feld der Kunst schlägt. Und das auf so charmante Weise, dass zukünftig noch viele Menschen zur „Vierten Schicht“ im Schloss antreten sollten.

www.kunstverein-wolfsburg.de

Bärbel Mäkeler

Titelbild: Christoph Heuer und Justin Hoffmann vom Kunst­verein Wolfsburg. Foto: Bärbel Mäkeler

Oktober 2023

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