Blick auf die archäologische Grabungsstelle mit präparierten Funden.

Mittel­alter in Fallersleben

Geschichte unter der Oberfläche

Die Sandkämper Straße liegt im Osten des mittel­al­ter­li­chen Fallers­leben und heute im Erhal­tungs­ge­biet Fallers­leben, dessen überlie­ferte städte­bau­liche Form bewahrt und weiter erforscht werden soll. Vor Baubeginn eines neuen Mehrfa­mi­li­en­hauses wurden hier im Sommer 2021 archäo­lo­gi­sche Ausgra­bungen durch­ge­führt. Dabei ließ sich auf dem Baugrund­stück unter einem Vorgän­gerbau aus dem 18. Jahrhun­dert ein nahezu vollstän­diger Abdruck einer spätmit­tel­al­ter­li­chen bzw. frühneu­zeit­li­chen Hofstruktur rekon­stru­ieren. Der Neubau in der histo­ri­schen Altstadt hat gleich­zeitig dazu geführt, dass Geschichte sichtbar wird.

Zwei Gruben mit Brand­schichten, Baube­funde unter­schied­li­cher Bauphasen, welche zum Teil bereits im 16. Jahrhun­dert wieder abgerissen und verfüllt worden waren, sowie mehrere Pfosten­stel­lungen und Abfall­gruben wurden in drei Wochen Ausgra­bungs­ar­beit freige­legt. Bei einer Grube mit einer Wandung aus Feldsteinen und kleinen Findlingen handelt es sich wahrschein­lich um einen mittel­al­ter­li­chen Brunnen aus dem 13. Jahrhundert.

Besonders hervor­zu­heben ist die extrem große Zahl von Fundstü­cken auf der relativ kleinen Ausgra­bungs­fläche von 400 Quadrat­me­tern. 16 große Kisten mit Fundma­te­rial wurden geborgen, darunter sehr viele Ofenziegel und wunder­schöne Keramiken – fast vollstän­dige Grapen­töpfe, Tonpfeif­chen, bemalte Schalen, Schüsseln und Teller. Ein großer Teil der Funde weist Material- und Ferti­gungs­mängel auf: Töpfe und Teller sind ungleich­mäßig gebrannt, Deckel nicht ganz gerade in ihrer Form und Ofenka­cheln scheinen nur teilweise farbige Fassungen zu tragen, sodass man die Stücke aus heutiger Sicht als „zweite Wahl“ oder Fehlpro­duk­tionen bezeichnen könnte.

Hinzu kommen mehrere Stapel­hilfen, die für das Stapeln von Keramik in einem Brennofen geeignet sind, und Ofenka­cheln in unter­schied­li­chen Bearbei­tungs­ständen – ungebrannt, ohne und mit Glasur. Außerdem wurden mehrere Model, also Grund­formen zur Herstel­lung von Ofenka­cheln, entdeckt. Eine trägt die Jahres­zahl 1574 und weist Spuren sekun­därer Benutzung auf.

Auch verschie­dene Friese aus Terra­kotta mit Renais­sance-Motiven und Durch­lo­chung wurden gefunden. Diese sogenannte „Bauke­ramik“ war in oder an Gebäuden befestigt und bildete einen Zierstreifen, wie er vor allem für Backstein­ge­bäude in Norddeutsch­land einge­setzt wurde.

Wir haben einen umfang­rei­chen Einblick in die Keramik­her­stel­lung des 15. bis 17. Jahrhun­derts gewinnen können durch Rohlinge, Halbfa­bri­kate und Ferti­gungs­hilfen“, fasst Grabungs­tech­niker Daniel Pollok von der Unteren Denkmal­schutz­be­hörde das Ergebnis zusammen. „Es entsteht der Eindruck, als hätte man einem Handwerker des späten Mittel­al­ters über die Schulter geschaut.“ Es ist nahezu sicher, dass an diesem Ort Keramik herge­stellt wurde und man die nicht gelun­genen Stücke im Boden entsorgt hat.

Vermut­lich hat auch ein Künstler hier gearbeitet, der die Holzvor­lagen für die Model entwarf. Zu den vielen figür­li­chen Darstel­lungen auf den Ofenka­cheln gehören Freiherren und Adelige, die Geburt Christi sowie zahlreiche weitere Ornamente. Ein beson­deres Model konnte in Bruch­stü­cken geborgen werden. Es wurde zur Herstel­lung eines Wappens mit Doppel­kopf­adler verwendet. Doppel­kopf­adler sind kaiser­liche Symbole, die nicht von jedem verwendet werden durften. Wer es in Auftrag gab, bleibt noch zu ergründen.

Nicole Froberg

Beitrags­bild: Blick auf die archäo­lo­gi­sche Grabungs­stelle mit präpa­rierten Funden, Foto: Untere Denkmal­schutz­be­hörde Wolfsburg
Blick auf die archäologische Grabungsstelle mit präparierten Funden.
Blick auf die archäo­lo­gi­sche Grabungs­stelle mit präpa­rierten Funden.
Foto: Untere Denkmal­schutz­be­hörde Wolfsburg
Ein Model, die Grundform zur Herstellung von Ofenkacheln, und die dazu passende Kachel wurden entdeckt.
Ein Model, die Grundform zur Herstel­lung von Ofenka­cheln und die dazu passende Kachel wurden entdeckt. Foto: Ali Altschaffel
Mittelalterlicher Kugeltopf, ein rundlich bauchiges, fast vollständig erhaltenes Gefäß mit einem nach außen gewölbten sogenannten Linsenboden.
Mittel­al­ter­li­cher Kugeltopf, ein rundlich bauchiges, fast vollständig erhal­tenes Gefäß mit einem nach außen gewölbten sogenannten Linsen­boden. Foto: Ali Altschaffel
Ein Model, das zur Herstellung einer Ofenkachel mit figürlicher Darstellung diente, trägt die Inschrift […] 537 und zeigt somit die Jahreszahl 1537 an. Darüber beginnt die Darstellung eines Adligen. Die Renaissancekachel ist seitlich von einer Säulenabbildung eingerahmt.
Ein Model, das zur Herstel­lung einer Ofenka­chel mit figür­li­cher Darstel­lung diente, trägt die Inschrift […] 537 und zeigt somit die Jahres­zahl 1537 an. Oberhalb der Zahl ist der Ansatz einer Darstel­lung eines Adligen zu erkennen. Die Renais­sance­ka­chel ist seitlich von einer Säulen­ab­bil­dung einge­rahmt.
Foto: Ali Altschaffel
Ein Konvolut von unterschiedlichen und reich verzierten Keramikdeckeln aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Diese Deckel wurden in hoher Zahl geborgen.
Ein Konvolut von unter­schied­li­chen und reich verzierten Keramik­de­ckeln aus dem späten Mittel­alter und der frühen Neuzeit. Diese Deckel wurden in hoher Zahl geborgen. Foto: Ali Altschaffel
Selten, ungewöhnlich vollständig und gut erhalten sind Tonrohre, die im Ofenbau eine wichtige Rolle spielen. Sie wurden oft als sogenanntes Rohrregister eingesetzt.
Selten, ungewöhn­lich vollständig und gut erhalten sind Tonrohre, die im Ofenbau eine wichtige Rolle spielen. Sie wurden oft als sogenanntes Rohrre­gister einge­setzt. Foto: Ali Altschaffel

DEIN WOLFSBURG, Ausgabe 15, Sommer 2022

Das könnte dir auch gefallen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Das könnte dir auch gefallen