Wie Geocaching mit Tempo
Orientierungslauf ist in Skandinavien längst ein Volkssport, hierzulande aber noch recht unbekannt. Dabei ist er eine Sportart für die ganze Familie, die einiges zu bieten hat: Bewegung im Freien, Entdecker-Spaß, und neben einer guten körperlichen ist auch eine geistige Leistung gefragt.
Eigentlich, sagt Brigitt Michel, sei Laufen „gar nicht so meins“. Das überrascht, schließlich betreibt die 76-Jährige die Sportart Orientierungslauf seit 1978 und dabei ist – wie der Name schon sagt – Laufen ein wesentlicher Bestandteil. Aber eben nicht der einzige. Das liegt vor allem am Ziel dieser Sportart: In einem vorher festgelegten Gelände sind schnellstmöglich Kontrollpunkte zu finden, die auf einer Karte in Handzettelgröße abgebildet sind und die man erst kurz vor dem Start bekommt. An diesen Punkten beziehungsweise Kontrollposten vermerkt der Läufer dann mithilfe eines elektronischen Geräts seine dortige Ankunft. Wer also am schnellsten die Posten abläuft, gewinnt das Rennen. Man könnte auch sagen, Orientierungslauf ist fast so wie Geocaching, aber mit deutlich mehr Tempo – bei beidem geht es in erster Linie um den Reiz des Suchens und Findens an der frischen Luft. „Dieses Suchen unterwegs ist immer wieder ein Abenteuer, eine Herausforderung und ganz spannend“, sagt Michel. Durch die Konzentration auf die Suche vergisst die pensionierte Sportlehrerin aus Kreuzheide schnell die Anstrengung des Laufens. „Immer nur geradeaus wie bei einem Marathon fände ich langweilig.“
Anforderungen beim Orientierungslauf
Tatsächlich sind aus der Sicht von Sportwissenschaftlern die mentalen und kognitiven Anforderungen beim Orientierungslauf weitaus höher als bei den meisten anderen Lauf-Sportarten. Michels Vereinskollege Thorsten Weigert vom TV Jahn Wolfsburg nennt dafür einen Grund: „Man muss die speziell angefertigten, detaillierten Karten zu lesen wissen und die verschiedenen Geländesymbole darauf vereinbaren mit der realen Welt, wie man sie sieht. Das ist nicht einfach.“ Zumal Orientierungsläufer unter Zeitdruck stehen und das Konzentrieren auf Karte und reales Gelände durch das Laufen erschwert wird – da können schnell Fehler passieren. Gute Orientierungsläufer sind daher nicht nur schnelle und ausdauernde Athleten, sondern können zugleich die Karten zügig und richtig lesen. Sie erkennen die besten Laufrouten und planen in Echtzeit, wo sie das Tempo anziehen und dadurch womöglich etwas ungenauer laufen. Oder wo sie sich etwas mehr Zeit lassen müssen, um auf keinen Fall zu früh oder zu spät abzubiegen oder an einem Kontrollpunkt vorbeizueilen. Auch eine gute Gedächtnisleistung ist hilfreich: Je besser sich der Athlet die Karte einprägt, desto weniger muss er während des Rennens erneut draufschauen und seine Geschwindigkeit reduzieren, um sich zu orientieren.
Unterschiedliche Strecken beim Orientierungslauf
Die zu absolvierenden Strecken können an die Erfahrung und das Können des jeweiligen Läufers angepasst werden, berichtet Weigert: „Man kann eine Route sehr schwer gestalten, aber auch leicht.“ Er selbst habe mal einen Wettkampf in Tschechien mit hoher Komplexität absolviert. „Das war in einem Felsgelände, wo es kaum unterscheidbare Geländemerkmale gab, an denen ich mich orientieren konnte.“ Sicher nur etwas für Experten. Aber auch in Wolfsburg und der näheren Umgebung sind anspruchsvolle Strecken möglich. Mit Anfängern seien die TV-Jahner unter anderem gern in Detmerode, Reislingen oder Kreuzheide unterwegs. „Die Parks und offenen Wohngegenden in Wolfsburg sorgen für abwechslungsreiche Strecken“, sagt Weigert.
Neben verschiedenen Schwierigkeitsgraden der Routen gibt es unterschiedliche Streckenlängen und Disziplinen: In Einzelrennen, wo die Teilnehmer in zeitlichen Abständen von bis zu fünf Minuten versetzt starten, um ein Hinterherlaufen zu vermeiden, gibt es üblicherweise Streckenlängen von bis zu drei bis vier Kilometern (Sprint), sechs Kilometern (Mitteldistanz) oder 12 bis 15 Kilometern (Langdistanz). Auch Teamwettbewerbe gibt es in Form von Staffelläufen, wo meist drei bis fünf Athleten verschiedene Strecken hintereinander absolvieren. Oder einen Mannschaftsorientierungslauf, bei dem ein drei- bis vierköpfiges Team gemeinsam startet und sich aufteilt, um einzelne Kontrollposten getrennt voneinander abzulaufen. Da nur die Einlaufzeit des letzten Läufers eines Teams über die Platzierung entscheidet, hat die Mannschaftsstrategie beim Aufteilen der Kontrollposten eine besondere Bedeutung.
Orientierungslauf beim TV Jahn Wolfsburg
Verschiedene Strecken will der TV Jahn Wolfsburg auch beim nächsten selbst ausgerichteten Wettbewerb anbieten: Für den 18. Juli ist in Wolfsburg unter Vorbehalt ein sogenannter Landesranglistenlauf geplant. Dann werden wieder ganze Familien an den Start gehen, wie Weigert berichtet: „Wir sind zurzeit 26 Aktive im Alter von 9 bis 76 Jahren.“ Diese Altersspanne veranschaulicht auch die Familienfreundlichkeit dieses Sports. „Die Eltern und Großeltern können nicht nur den Kindern zusehen und sie anfeuern, sondern selbst mitmachen.“ So wie die Pensionärin Michel, die bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien Dritte wurde und in Lettland 2019 Vierte – und noch ein Argument für ihre Sportart parat hat: „Viele Sportarten konnten wegen Corona nicht ausgeübt werden. Orientierungslauf kann man auch gut allein an der frischen Luft machen.“
Tobias Kuske
Orientierungslauf selbst ausprobieren:
Lockere Sportbekleidung und Laufschuhe, die schmutzig werden können, reichen als Ausrüstung. Training beim TV Jahn Wolfsburg: samstags 10–12 Uhr an verschiedenen Orten in Wolfsburg, daher vorher per E‑Mail Kontakt aufnehmen unter orientierungslauf@tvjahn-wolfsburg.de.Weitere Infos zum Orientierungslauf beim TV Jahn Wolfsburg gibt es hier. Allgemeine Infos zum Orientierungslauf gibt es hier.
Ich habe gerade eben durch zufall diesen Artikel gefunden. Ach herrlich das waren noch Zeiten und es hat echt viel Spaß gemacht.