Mike Stewart, Coach der Grizzlys Wolfsburg

Mike Stewart, Coach der Grizzlys Wolfsburg

Teil 7 des Topthemas “Zusammen sind wir Wolfsburg”

Einer für alle, alle für einen

Sein ureigenes Terrain ist das Eis. Doch um aus vielen Spielern eine verschwo­rene Einheit zu machen, begibt sich Mike Stewart auch auf fließendes Gewässer. Im Interview erzählt der Coach der Grizzlys Wolfsburg, warum sich Rafting-Touren gut zum Teambuil­ding eignen und wodurch sich eine echte Mannschaft auszeichnet. Und er verrät, auf welche besondere Art und Weise er sich seinen Spielern vorge­stellt hat.

Herr Stewart, der Basket­baller Michael Jordan hat einmal gesagt, dass talen­tierte Sportler zwar Spiele entscheiden würden. Doch um Meister­schaften zu gewinnen, brauche es Teamwork. Können Sie das so unterschreiben?

Hundert­pro­zentig! Na klar benötigen Mannschaften talen­tierte, intel­li­gente Spieler. Aber der Charakter und die richtige Einstel­lung spielen eine sehr, sehr große Rolle. Das ist ja nicht nur im Sport so, sondern auch im Geschäfts­leben. Als Trainer hatte ich häufig die Möglich­keit, einen top talen­tierten Spieler zu verpflichten. Doch wenn ich gemerkt habe, dass er ein absoluter Einzel­gänger ist oder in meiner Kabine die Stimmung ruinieren könnte, dann habe ich ihn nicht unter Vertrag genommen.

Was zeichnet ein echtes Team für Sie aus?

Wenig Ego, harte Arbeit. Die Frage ist: Kämpfen die Jungs gegen­ein­ander, weil jeder seinen Status verbes­sern und mehr Eiszeit haben will? Oder sind die Jungs bereit, fürein­ander zu arbeiten und die kleinen Dinge zu tun, die einen großen Unter­schied ausmachen können?

Wie meinen Sie das?

Wenn jemand eine Vorlage gibt oder ein Tor erzielt, dann jubeln die Fans. Doch für mich sind ein harter Check oder geblockter Schuss genauso wichtig. Das ist die Drecks­ar­beit, die unter dem Radar geschieht. Es gibt Spieler, die schießen in der Saison zwei Tore – aber sie arbeiten brutal hart und sind in der Kabine ein Leader.

Was waren Sie früher für ein Spieler?

Ein bisschen Talent hatte ich schon, aber ein großer Teil meines Jobs war es, die Drecks­ar­beit zu tun.

Wenn es darum geht, vor einer Saison die Neuen in die Mannschaft zu integrieren: Welche Spieler bei den Grizzlys sind dann besonders gefordert?

Das sind die Jungs, die schon länger in Wolfsburg spielen. Sebastian Furchner, Gerrit Fauser, Dominik Bittner oder Fabio Pfohl.

Ist da jeder auf sich selbst gestellt?

Dafür und auch für andere Aufgaben müssen wir zusam­men­ar­beiten. Wenn du ganz alleine dastehst, dann ist der Druck einfach zu hoch. Im Spitzen­sport sind die Erwar­tungen riesig. Die Spieler stehen in der Presse, und ab und zu muss ich auch ein harter Boss sein.

Diese Saison ist Ihre erste als Coach der Grizzlys. Wie fügen Sie sich in die Mannschaft ein?

Indem ich Vertrauen aufbaue. Vor der Saison habe ich mit jedem Spieler mindes­tens einmal telefo­niert, häufig sogar zweimal – zum einen, um mich vorzu­stellen, zum anderen, um alle besser kennen­zu­lernen. Hat der Spieler Familie? Hat er einen Hund? Wohin ist er in den Urlaub gefahren? Das sind alles Kleinig­keiten, doch der Aufbau von Vertrauen ist ein langer Prozess. Das geschieht Zenti­meter um Zenti­meter. In der Saison geht es darum, dass ich jederzeit glaub­würdig bin. Deswegen muss ich den Spielern gegenüber auch harte Entschei­dungen treffen. Wichtig ist, dafür zu sorgen, dass Eishockey Spaß macht. Genau deswegen haben wir alle doch mit fünf, sechs Jahren angefangen zu spielen.

Häufig ist es so, dass Profi­sportler zum Einstand vor ihren neuen Teamkol­legen ein Lied zum Besten geben. Pflegen Sie ein beson­deres Ritual?

Wer bei mir neu ist, stellt sich bei allen erst einmal vor. Dazu gehört, dass man verrät, was einem richtig peinlich ist. Ich habe gesagt: „Hallo, ich bin Mike, komme aus Calgary in Alberta und habe einen öster­rei­chi­schen Pass – und was ich überhaupt nicht gut kann, ist Rückwärts­fahren mit dem Auto.“ Da merken die Spieler: Okay, der Trainer ist auch nur ein Mensch.

Ist zualler­erst der Trainer gefordert, damit aus vielen Spielern ein echtes Team wird? Oder steht die Mannschaft in der Pflicht?

Es fängt beim Trainer­stab an. Wir geben den Jungs die Richtung vor und fordern: So wollen wir spielen, diese Quali­täten sind uns wichtig, das macht uns erfolg­reich. In unserer Kabine haben wir 25 Persön­lich­keiten aus verschie­denen Ländern. Darunter sind neun oder zehn Leader, die Vorbild für alle sind. Ihre positive Einstel­lung ist anste­ckend und zieht andere mit. Wenn ich während der Saison sehe, wie die Spieler immer mehr zu einer Einheit werden – das ist ein super Gefühl.

Sind Siege das beste Mittel, um eine Mannschaft zu formen?

Im Sport geht es rauf und runter. Schlechte Phasen gibt es immer wieder, und erst dann sieht man, wie viel Charakter eine Mannschaft hat. Bleiben wir unten drin oder kommen wir da gemeinsam wieder raus? Ich benötige Leute, die bereit sind aufzu­stehen, und die den Zusam­men­halt und den Glauben vermit­teln, dass wir es als Mannschaft schaffen können.

Was tun Sie in der Saison­vor­be­rei­tung, um die Mannschaft zusammenzuschweißen?

Wir gehen raus und machen etwas anderes als Eishockey. Zum Beispiel haben die Jungs Golf gespielt. Manche sind richtig gut, andere haben noch nie einen Schläger in der Hand gehabt. In der Vergan­gen­heit haben wir auch Wildwasser-Rafting gemacht: drei Rafts mit je sechs, sieben Spielern und dann den Fluss runter. Unterwegs kann es ein bisschen unheim­lich werden und nur dann, wenn die Mannschaft zusam­men­ar­beitet, kommt sie durch. Ich stehe auf solche Sachen.

Was war die verrück­teste Teambuil­ding-Maßnahme, die Sie in der Karriere mitge­macht haben?

Für Eisho­ckey­spieler ist Skifahren verboten, weil die Verlet­zungs­ge­fahr groß ist. In den Verträgen steht drin, dass das ein absolutes No-Go ist. Als ich früher in Nordame­rika gespielt habe, hatten wir einmal eine schlechte Phase. Da sagte unser Trainer plötzlich zu uns: „Jungs, wir gehen Skifahren. Morgen früh treffen wir uns vor der Halle, jeder hat seine Ausrüs­tung dabei und dann steigen wir gemeinsam in den Bus.“ Zwei Tage lang waren wir oben auf der Piste. Wir haben im Hotel übernachtet, zusammen gegessen und getrunken. Das war schon ein bisschen crazy, aber es hat funktio­niert: Wir sind zurück­ge­kommen und haben besseres Eishockey gespielt.

Ist es richtig, dass diese Aktion dem Spieler Stewart gut gefallen hat, der Coach Stewart jedoch etwas mehr Vorsicht walten lässt?

Wenn ich ehrlich bin: Ja. Zum Glück hat sich niemand verletzt. Außerdem müssten wir von Wolfsburg aus bestimmt zehn Stunden fahren, um eine solche Piste zu finden, wie wir sie damals hatten.

Stefan Boysen

Titelfoto: Grizzlys, © City Press GmbH

Ausgabe 15, Sommer 2022

Hier geht es zum 8. Teil “Maximi­lian Arnold Wölfe-Camp” des Topthemas:

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