Architekturtag zeigt Bau- und Bodendenkmale am Robert-Koch-Platz
73 Jahre ist er alt – der Kopfbau am Robert-Koch-Platz 10–14, der als eine der ersten großen Architekturen nach Krieg und Währungsreform ab 1950 für die VW-Betriebskrankenkasse entstand. Die Pläne kamen von der Bauabteilung des Volkswagenwerks. Symmetrisch gegliedert, mit hohem Walmdach und einem kleinen Uhrentürmchen bildet das verputzte Bauwerk die repräsentative Schaufront des Platzes. Im Erdgeschoss erschloss eine Eingangshalle ursprünglich den zentralen Schalterraum in der Mittelachse. Kleine Vortreppen auf beiden Seiten bildeten die Zugänge zu den Ober- bzw. Dachgeschossen. Neun großzügig geschnittene Wohnungen mit Grundflächen bis zu 135 Quadratmetern lagen hier deutlich über dem für die Zeit üblichen Wohnangebot. 1960 wurde ein Anbau auf der Nordseite an das Gebäude angefügt.
Seit den 1980er Jahren steht das Bauwerk unter Denkmalschutz. Nach einer Nutzung als städtisches Ordnungsamt wurden ab 1993 Teile der Ostfalia Hochschule Braunschweig/Wolfsburg (ehemals Fachhochschule) in dem Gebäude untergebracht. 2019 erwarb das Land Niedersachsen den Bau von der Stadt Wolfsburg: Nach der aktuelle Sanierung soll das Gebäude den Mittelpunkt des Campus der Hochschule bilden mit einer Cafeteria im Anbau, der dafür eine umlaufende Terrasse erhält. Der Zugang erfolgt weiterhin vom Robert-Koch-Platz. Eine neue Aufzugsanlage macht alle Geschosse barrierefrei und zwei größere Seminarräume wurden eingefügt.
Die Werksbauabteilung hatte Anfang der 1950er Jahre einen sehr geschichtsträchtigen Platz ausgewählt. Am größten Platz des Gemeinschaftslagers in der „Stadt des KdF-Wagens“ spielte sich das gesellschaftliche Leben der Kriegszeit in einer scheunenähnlichen Freizeithalle für bis zu 5.000 Besucher*innen ab, die im typischen Stil der KdF-Hallen erbaut wurde. Sie überragte die Barackenstadt und war nach dem Präsidenten des italienischen Industriearbeiterverbands als „Tullio-Cianetti-Halle“ benannt. Die Vorderseite mit dem Hakenkreuz im Zahnrad sowie drei Handwerkern zeigte nach Norden in Richtung des ehemaligen Bahnhofes. Wenige Tage nach Kriegsende vernichtete ein Brand das hölzerne Großbauwerk.
Abb. 2: Aktuelle Bauarbeiten am Baudenkmal und am Robert-Koch-Platz. Foto: Lars Landmann, Abb. 3: Archäologische Arbeiten dokumentieren die Fundamente der Cianetti-Halle auf dem Robert-Koch-Platz. Foto: Stadt Wolfsburg, Abb. 4: Aktionstag zur Woche der Architektur in Niedersachsen am 25. Juni. Foto: Lars Landmann
Im Zuge der Neugestaltung des Platzes hatte die Stadt Wolfsburg 2019 mit geophysikalischen Prospektionsmethoden untersucht, ob ohne Erdarbeiten ein Nachweis der Überreste der Halle möglich ist. Aufgrund zahlreicher Eingriffe in das Erdreich war aus den Georadar- und Geomagnetikmessungen jedoch keine Aussage abzuleiten. Seit 2022 ist bei den Bauarbeiten am Platz ein Fachmann anwesend und dokumentiert die für Archäologie eher jungen Befunde.
Vergeben wurden bisher 54 Befundnummern für Bauelemente der historischen Halle, die fotografiert, beschrieben, gezeichnet, vermessen und – sofern möglich – archiviert werden. Darunter finden sich Gegenstände aus der Nutzung wie Bier- und Milchflaschenreste, aber auch viele Bauteile der Elektrik, der Holzkonstruktion und der Dachdeckung mit deutlichen Brandspuren. Daniel Pollok von der Unteren Denkmalschutzbehörde erläutert zum Veranstaltungstag, wie über die archäologischen Befunde die Lage der Cianettihalle nachgewiesen werden kann und welche Bauakten, Lagepläne, Bestuhlungspläne und historische Aufnahmen im Kontext der Arbeiten gefunden wurden.
Nicole Froberg
06/2023