Blick über den Robert-Koch-Platz 1954. Quelle: Stadt Wolfsburg, Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation

Eintau­chen in Wolfs­burgs junge Geschichte

Archi­tek­turtag zeigt Bau- und Boden­denk­male am Robert-Koch-Platz

73 Jahre ist er alt – der Kopfbau am Robert-Koch-Platz 10–14, der als eine der ersten großen Archi­tek­turen nach Krieg und Währungs­re­form ab 1950 für die VW-Betriebs­kran­ken­kasse entstand. Die Pläne kamen von der Bauab­tei­lung des Volks­wa­gen­werks. Symme­trisch geglie­dert, mit hohem Walmdach und einem kleinen Uhren­türm­chen bildet das verputzte Bauwerk die reprä­sen­ta­tive Schau­front des Platzes. Im Erdge­schoss erschloss eine Eingangs­halle ursprüng­lich den zentralen Schal­ter­raum in der Mittel­achse. Kleine Vortreppen auf beiden Seiten bildeten die Zugänge zu den Ober- bzw. Dachge­schossen. Neun großzügig geschnit­tene Wohnungen mit Grund­flä­chen bis zu 135 Quadrat­me­tern lagen hier deutlich über dem für die Zeit üblichen Wohnan­gebot. 1960 wurde ein Anbau auf der Nordseite an das Gebäude angefügt.

Seit den 1980er Jahren steht das Bauwerk unter Denkmal­schutz. Nach einer Nutzung als städti­sches Ordnungsamt wurden ab 1993 Teile der Ostfalia Hochschule Braunschweig/Wolfsburg (ehemals Fachhoch­schule) in dem Gebäude unter­ge­bracht. 2019 erwarb das Land Nieder­sachsen den Bau von der Stadt Wolfsburg: Nach der aktuelle Sanierung soll das Gebäude den Mittel­punkt des Campus der Hochschule bilden mit einer Cafeteria im Anbau, der dafür eine umlau­fende Terrasse erhält. Der Zugang erfolgt weiterhin vom Robert-Koch-Platz. Eine neue Aufzugs­an­lage macht alle Geschosse barrie­re­frei und zwei größere Seminar­räume wurden eingefügt. 

Die Werks­bau­ab­tei­lung hatte Anfang der 1950er Jahre einen sehr geschichts­träch­tigen Platz ausge­wählt. Am größten Platz des Gemein­schafts­la­gers in der „Stadt des KdF-Wagens“ spielte sich das gesell­schaft­liche Leben der Kriegs­zeit in einer scheu­nen­ähn­li­chen Freizeit­halle für bis zu 5.000 Besucher*innen ab, die im typischen Stil der KdF-Hallen erbaut wurde. Sie überragte die Baracken­stadt und war nach dem Präsi­denten des italie­ni­schen Indus­trie­ar­bei­ter­ver­bands als „Tullio-Cianetti-Halle“ benannt. Die Vorder­seite mit dem Haken­kreuz im Zahnrad sowie drei Handwer­kern zeigte nach Norden in Richtung des ehema­ligen Bahnhofes. Wenige Tage nach Kriegs­ende vernich­tete ein Brand das hölzerne Großbauwerk.

Abb. 2: Aktuelle Bauar­beiten am Baudenkmal und am Robert-Koch-Platz. Foto: Lars Landmann, Abb. 3: Archäo­lo­gi­sche Arbeiten dokumen­tieren die Funda­mente der Cianetti-Halle auf dem Robert-Koch-Platz. Foto: Stadt Wolfsburg, Abb. 4: Aktionstag zur Woche der Archi­tektur in Nieder­sachsen am 25. Juni. Foto: Lars Landmann

Im Zuge der Neuge­stal­tung des Platzes hatte die Stadt Wolfsburg 2019 mit geophy­si­ka­li­schen Prospek­ti­ons­me­thoden unter­sucht, ob ohne Erdar­beiten ein Nachweis der Überreste der Halle möglich ist. Aufgrund zahlrei­cher Eingriffe in das Erdreich war aus den Georadar- und Geoma­gne­tik­mes­sungen jedoch keine Aussage abzuleiten. Seit 2022 ist bei den Bauar­beiten am Platz ein Fachmann anwesend und dokumen­tiert die für Archäo­logie eher jungen Befunde.

Vergeben wurden bisher 54 Befund­num­mern für Bauele­mente der histo­ri­schen Halle, die fotogra­fiert, beschrieben, gezeichnet, vermessen und – sofern möglich – archi­viert werden. Darunter finden sich Gegen­stände aus der Nutzung wie Bier- und Milch­fla­schen­reste, aber auch viele Bauteile der Elektrik, der Holzkon­struk­tion und der Dachde­ckung mit deutli­chen Brand­spuren. Daniel Pollok von der Unteren Denkmal­schutz­be­hörde erläutert zum Veran­stal­tungstag, wie über die archäo­lo­gi­schen Befunde die Lage der Cianet­ti­halle nachge­wiesen werden kann und welche Bauakten, Lagepläne, Bestuh­lungs­pläne und histo­ri­sche Aufnahmen im Kontext der Arbeiten gefunden wurden. 

Nicole Froberg

06/2023

Titelbild: Blick über den Robert-Koch-Platz 1954. Quelle: Stadt Wolfsburg, Institut für Zeitge­schichte und Stadtpräsentation
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