Stadtrundgang mit Bastee
Für die einen sind Graffiti Schmierereien, für die anderen sind sie Kunst. Die Protagonisten der Graffiti-Szene wiederum sehen sich selbst abseits dieser Pole. Das sagt zumindest Bastee Roese, 35, Wolfsburger Graffiti-Sprüher seit 1993 und seit langem als Auftrags-Sprayer unterwegs. Bei einem etwas anderen Kultur-Rundgang durch Wolfsburg zeigt er uns seine liebsten Arbeiten und Werke anderer Künstler – die Liste ist längst nicht vollständig. Also: Viel Spaß beim Entdecken!
Denkt man an Graffiti und Street Art im Zusammenhang mit Kunst, fallen einem sofort Namen wie Keith Haring oder Banksy ein. Doch in solchen Zusammenhängen sieht sich Bastee nicht: „Nur die Sprühdose benutzen, ist noch kein Graffiti, und wer Graffiti macht, verdient keine Millionen.“ Das wahre Graffiti existiere nach eigenen Regeln, die in der Kunstszene nicht wahrgenommen würden:
„Es geht meistens darum, seinen Namen zu verbreiten, gerade in der illegalen Szene.“
Bastee
Innerhalb dieses Szene-Regulariums achten die Vertreter auf ganz andere Parameter als die Kunstsammler: Es gehe um Formen, Schrifttypen, Subkultur, seltener um Inhalte
. Am anderen Ende der Skala wiederum sehe die Öffentlichkeit nur Schmierereien am Straßenrand, die auch Bastee als solche bezeichnet: Anfänger-Arbeiten ohne Substanz. Aber: „Irgendwann ist das vielleicht mal jemand mit Rang und Namen, das weiß man jetzt noch nicht.“
Sprayer mit Rang und Namen hat Wolfsburg auch schon hervorgebracht. Viele sind inzwischen abgewandert, nach Hamburg, England, Los Angeles. Als Beispiele nennt Bastee Namen wie „Beet“, der aus Buchstaben Figuren machte, oder „Herr von Grau“, der im Hip Hop bekannt wurde. Der Hip Hop ist seit jeher eng verbunden mit Graffiti, es gab auch in Wolfsburg eine Gemeinschaft aus Sprühern, Rappern und Breakern. Auch Bastee produzierte früher Musik, unter dem Namen „B Eazy“.
Nicht immer ging es in Wolfsburg jedoch friedlich zu: Bastee berichtet von heftigen Partys an der Dieselstraßen-Wand, die sich ins Jugendzentrum Kaschpa verlagerten und irgendwann völlig aus dem Ruder liefen. Es kam zu Schlägereien, Schießereien und umgekippten Autos und einem auseinandergenommenen Kaschpa, die ganze Stadt war mit Tags übersät. Mit dem Jugendzentrum Ost gab es eine Feindschaft. Als am Bahnhof einmal der gesamte Waggonbestand zugesprüht wurde, richtete die Polizei eine eigene Soko ein. Es war sehr gewalttätig, von Subkultur-Romantik keine Spur: „Heute ist es aber nicht mehr so extrem“, hofft Bastee.
Als Bastee 1993 an der Dieselstraße seine Anfänge wagte, war die Graffiti-Wand schon einige Jahre in Benutzung. „Damals konnte man an manchen Stellen noch den Putz sehen“, erinnert er sich. Heute liegen mehrere Millimeter Lack auf der Wand. Früher war die Wand noch so etwas wie eine Hall Of Fame, heute übt sich dort vornehmlich der Nachwuchs. Das Übersprühen ist in der Szene eigentlich verpönt und lediglich nach Absprache möglich, ansonsten handelt man sich Ärger ein: „Man kennt seine Hierarchien“, so Bastee. Einzig, wenn verfeindete Crews sich gegenseitig die Reviere streitig machen, käme es zu Übersprüh-Aktionen, dem Crossen.
Heßlinger Straße 14, Studentenwerk Braunschweig/Wohnheim Großflächig und sehr auffällig gestaltete der Braunschweiger Künstler Sebastian Meyer alias „Ente-Graphics“ Murals mit Landschaften, einer Ansicht des Wolfsburger Schlosses, diversen riesigen Polaroids und dem alten Stadtwappen. Damit sollen illegale Graffiti verhindert werden – und es sieht beeindruckend aus.
Verändert haben sich nach Bastees Ansicht auch die Einflüsse: „Ich mag gern das Natürliche, Ursprüngliche, das aus New York kommt.“ Die aktuellen Szenevertreter interessierten sich nach seiner Ansicht nicht mehr dafür: „Die Generationen haben sich selber beeinflusst, sie kennen die Wurzeln nicht mehr.“ Das habe sich verselbständigt: „Und das kann auch gut sein.“ Indes findet er nicht, dass die Bilder in den zurückliegenden 15 Jahren qualitativ besser geworden sind: „Im Gegenteil, es gab eher eine Zurückentwicklung.“ Früher habe man aus Kostengründen vieles auf eine bestimmte Art unprofessionell gemacht, heute sehe eine schlicht vorgestrichene Wand einfach nicht ansprechend aus. Viele der damals aufgebrachten Graffiti-Stücke seien heute übrigens aus dem Stadtbild verschwunden, „die Stadt ist geputzt“, so Bastee. Er bedauert das: „Das ist in anderen Städten nicht so, in Braunschweig oder Hannover.“
Die heutige Verbindung von Fußball und Graffiti kann Bastee nicht verstehen: „Das ist lächerlich, das hat nichts miteinander zu tun.“ Es habe sich eine Art Parallelkultur entwickelt: „In der Szene kann man damit nicht landen.“ Und noch etwas hat sich verändert: Waren Schablonen früher als uncool verpönt, sind sie heute in der Street Art der Stand der Dinge. „Es sind eine ganze Menge Leute aus der Graffiti-Szene übergewandert“, so Bastee. „Das war ein kleiner Verrat.“ Früher habe man gegen Kunst und Schablonen gewettert, heute findet man sie in Museen wieder.
Suhler Straße 10, Lebenshilfe © WMG, Foto: S. Dorbrietz
Bastees wohl aufwändigste Arbeit ziert eine Wand am Gebäude der Lebenshilfe. In tausenden Quadraten sprühte er mit Schablonen eine mosaikartige Weltkarte auf die Wand, die einem Original aus Holz im inneren der Lebenshilfe nachempfunden ist. Ein künstlicher 3D-Effekt lässt einzelne Blöcke optisch hervorstehen. Nicht nur die drei Monate Arbeit hinterließen Eindrücke bei ihm. Lebenshilfe-Klienten und Bewohner der Flüchtlingsunterkunft gegenüber sprachen ihn bei seiner Arbeit regelmäßig an – und setzten damit das Motiv um: „Die Weltkarte als Verbindung verschiedener Kulturen.“
An der Vorburg/unter der Berliner Brücke © WMG, Foto: S. Dorbrietz
An diesem Brückenpfeiler findet man eine Weiterentwicklung des Graffiti: Street Art, mit einer Schablone auf die Wand gesprüht. Der Pfeiler wurde vorher überstrichen, die beiden lebensgroßen Männerfiguren mit schwarzer Farbe aufgebracht. „Wenn man mit Schablonen arbeitet, muss man vieles mitbedenken“, erläutert Bastee. Für größere freie Stellen seien Stege im Papier zu berücksichtigen, damit Teile nicht auseinanderreißen. Als Tag ist nach Vorbild des berühmten Phantom-Künstlers Banksy der Schriftzug „LACUNA“ angebracht. Die weiteren Tags um die Arbeit herum gehören nach Bastees Auffassung nicht zum Werk.
Graffiti-Glossar
Piece: Graffiti-Arbeit
Burner Piece: aufwändiges Konzeptbild mit mehreren Farben und einem ausgestalteten Hintergrund, keine Auftragsarbeit
Simple Style: Buchstaben ohne Hintergrund
Wild Style: ausgearbeitetes Schrift-Piece
Mural: konzipierte Wand, Kulisse mit Charactern
Character: Figur
Tag: kleine Unterschrift, Signatur
Hall Of Fame: Wand, auf der Profi-Sprayer sich verewigen
Writer: Graffiti-Sprüher
Outlines: Umrandung eines Pieces
Freestyle: ohne Vorlage oder Skizze sprühen
Yard: Gelände, auf dem Züge und Waggons stehen, die besprüht werden
Bomben: ein Areal mit Graffiti zupflastern
Rooftop: Graffito an einer Dachkante
Crossen: Gangs oder Crews bringen ihre Tags in fremden Revieren an
Stencil: mit Schablonen gesprühtes Graffito
Throw Up: Buchstabe, dessen Ecken spitz zulaufen
Fundstück aus der Printausgabe 3 Dein Wolfsburg 2016